Unsere sozialistisch geprägte Erziehung sorgte mitunter dafür, dass die äthiopische Regierung enge, freundschaftliche und brüderliche Beziehungen mit den Staaten des Ostblocks führte. Da die Kinder-Camps in Äthiopien ebenso sozialistischen Ideologien folgte, wurden wir als ein Teil der sozialistischen Gemeinschaft angesehen. Das bedeutete auch, dass einige der Kinder an Austauschprogrammen teilnehmen durften. 1987 war ich endlich an der Reihe.
Wir wurden nach unseren schulischen Leistungen ausgwählt, aber auch nach anderen Kriterien. Mit einem Sondererlass des Präsidenten wurden immer zu Beginn des Sommers die Kinder mit Bestleistungen in unterschiedliche sozialistisce Länder geschickt. Das waren Länder wie die Sowjetunion, Kuba, DDR, Tschechoslowakei, Polen, Bulgarien oder Ungarn.
Während des Kalten Krieges, schlossen die Länder des Ostblocks den Warschauer Pakt. Unter der Führung der Sowjetunion wurde allen Ländern des Vertrages militärische Unterstützung zugesichert. Es sollten darin ebenso Freundschaft, Kooperationen und gegenseitige Unterstützung festgehalten werden. Die Sowjetunion, welche die Verhandlungen führte, wurde dabei als der "Großer Bruder" betrachtet, alle anderen Länder als Bruderstaaten. Die Sowjets wollten ihre sozialistische und kommunistische Weltanschauung so weit wie möglich verbreiten. Daher hatten sie auch Interesse daran freundschaftliche Kontakte zu Ländern außerhalb des Warschauer Paktes zu pflegen. Äthiopien war eines dieser Länder, zumal die Sowjets dieses bereits im Krieg gegen Somalia unterstützt hatten.
1987 wurde ich dann endlich einer der Anwärter. Vier Kinder wurden jeweils in eines von vier Ländern geschickt, es wurden also 16 Schüler ausgewählt. Leider durften wir uns das Land, welches wir besuchen würden, nicht aussuchen. Hätte ich wählen dürfen, wäre meine Wahl auf die Sowjetunion gefallen. Die Regale unserer Bibliothek waren voll mit russischen Erzählungen, Romanen, Märchen und Geschichten für Kinder. Ich hätte liebend gern die Sowjetunion besucht. So ging es nicht nur mir, sondern allen meiner Freunde. Wir waren verrückt nach der Sowjetunion. Doch mir wurde eine Reise in die DDR zugeteilt.
Als ich noch klein war, schaute ich dutzende Filme über den Zweiten Weltkrieg. Ich las viele Bücher über Adolf Hitler und dessen rassistische Weltanschauung. Die Berichte über die Konzentrationslager, wie Auschwitz und andere in Polen und Deutschland, waren grauenvoll. Alles was ich von Deutschland und den Deutschen bis dahin kannte war deren Brutalität und Unmenschlichkeit gegenüber anderen Menschen. Für mich waren alle Deutsche gleich: Schreckliche Bestien, wie die aus unseren Volksmärchen. Ich war mir sicher, dass sie extrem rassistisch gegenüber schwarzen Menschen wären. Ich hatte also großes Interesse daran nach Russland geschickt zu werden. Das alles war eine extreme seelische Belastung für mich bevor man uns mitteilte in welches Land wir geschickt wurden. Aufgrund meiner harschen Voruteile war ich natürlich nicht sehr daran interessiert die DDR zu besuchen.
Am Tag, als man uns mitteilte in welches Land wir reisen würden, erhielt ich denkbar schlechte Neuigkeiten: Ich war einer vor Vieren meiner Altersstufe, die die DDR besuchen sollten - eines der mir meistverhassten Länder. Einer der Lehrer würde unsere Delegation leiten und mit uns fliegen. Ich nahm mein Schicksal als "Pech im Leben" hin.
Fortsetzung folgt...
Text: Shimelis Haile Aga
Unterschiedlichste Objekte aus der Sammlung des DDR Museum, die mit Äthiopien verknüpft sind: