Ein Ausflug in die DDR - "Die Reise meines Lebens"

Kapitel 2: Leben auf dem Schlachtfeld

Shimelis Haile Aga besuchte 1987 die DDR. Er kann sich noch lebhaft an seine Reise erinnern, vor allem auch, weil der Anfang seiner Geschichte alles andere als denkwürdig war. Alles begann in den unruhigen Zeiten des Krieges zwischen Äthiopien und Somalia. Wie viele junge Männer wurde auch Shimelis Vater an die Front geschickt, die so tausende Familien und Kinder zurück ließen. von Michael Geithner (26.09.2017)

Äthiopiens dunkelstes Kapitel

Somalia, unter der Führung von General Siad Barre, erklärte Äthiopien offiziell den Krieg, um so den Bürgerkrieg im Inneren des Landes zum eigenen Vorteil auszunutzen - einen Krieg der das gesamte Land erschütterte. Diese Zeit war wohl die schlimmste, dunkelste Ära Äthiopiens, neben von vielen weiteren unruhigen Epochen. General Siad Barre, damals Somalias Präsident, folgte dem Zerrbild vom Aufbau eines großen Reiches, welches er Groß-Somalia nannte.

HISTORY BOX: Kalter und "heißer" Krieg in Äthiopien

1977 versuchte die somalische Regierung die Kontrolle über die Region Ogaden zu gewinnen, welche sich zwischen Somalia und Äthiopien befindet. Da in Ogaden hauptsächlich Somalis beheimatet waren, beanspruchte General Siad Barre das Gebiet für sein Land und erklärte Äthiopien den Krieg. Dieses wiederum wurde von der Sowjetunion und Kuba unterstützt, während Somalia auf der Seite der USA stand. Somit war dieser Krieg auch Teil des weltweiten Kalten Krieges.

Mittels eines Überraschungsangriffes der äthiopisch-kubanisches Armee im Februar 1978, brach die somalische Defensive zusammen und Äthiopien siegte. Am 9. März 1978 befahl Siad Barre seinen Truppen den Rückzug und am 15. März verließ schließlich der letzte somalische Soldat Äthiopien. Kurz darauf vereinbarten beide Regierungen einen Waffenstillstand.

Krieg ist Verlust

Als ich fünf Jahre alt war wurde mein Vater und sein jüngerer Bruder, die beide bei der örtlichen Polizei arbeiteten, von der Armee eingezogen, welche kurz darauf nach Norden maschierte. Daddy ließ meine beiden älteren Schwestern und mich bei seiner Mutter, und zog los, um die Unversehrtheit seines Landes zu bewahren.

Er fiel im Kampf, während unser Onkel unversehrt zurück kehrte.

Auch wenn unser Land letztlich den Krieg gewann, gab es insgesamt weder Verlierer noch Gewinner -  die Verluste von Leben und Material auf beiden Seiten waren unermesslich - Waisen und Witwen unzählbar. Ich war eines der Kinder, die unter einer kaputten Famile zu leiden hatten. Die Zerstörung der Infrastruktur und Sozialversorgung machte das Leben auf beiden Seiten schwer.

Shimelis' Vater, Haile Aga Guta, ander Kriegsfront im Norden, Juli 1975

Das Kinder-Camp

Die Militärregierung versammelte einige der Kinder, die Opfer des Krieges geworden waren. Ein Teil davon wurde in unterschiedliche Gebiete des Landes geschickt und so erhielt ich die Gelegenheit dem Revolutionary Ethiopia Children Amba (RECA) beizutreten [Englisch für: Revolutionärer Äthiopischer Kinder Amba; Amba ist ein äthiopischer Ausdruck für eine Art Tafelberg, einer natürlichen Bergfestung]. Etwa 1.000 Kinder in meinem Alter lebten im Camp. Wir wurden aus verschiedenen Teilen des Landes heraus rekrutiert, sprachen unterschiedliche Sprachen und kamen aus ganz verschiedenen ethnische Gruppen. Zu Beginn hatten wir große Schwierigkeiten untereinander, aber nach einiger Zeit konnten wir einander leichter verstehen.

Ich wage zu behaupten, dass meine Persönlichkeit dort geformt wurde. Es wurden uns, als kleinen Kindern, diverse Sprachtrainings sowie theoretische und praktische Unterrichtseinheiten angeboten. Das Camp hatte einige einkommengenerierende Gewerbe, wie beispielsweise Fischerei, Imkerei, große landwirtschaftliche Plantagen, Holz- und Metallwerke. Wir wurden auch in kulturellen Fächern unterrichtet.

Sozilistische Grundfeste

Jedes Kind musste sich bei unterschiedlichen Aktivitäten beteiligen. Sehr jung erlernten wir Arbeitsdisziplin. Vielleicht war es ähnlich wie in einem Militärlager. Es gab unterschieliche Sanktionen für Fehlverhalten, wie Prügelstrafe oder den Entzug von bestimmten Privilegien. Unser Kinder-Camp wurde von Grundlagen sozilistischer Prinzipien bestimmt, die man sich von der Jugendpolitik anderer sozialistischer Länder, wie der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken [UdSSR], der DDR und Kuba, abgeschaut hatte.

Wir wurden im Sinne des Marxismus-Leninisumus unterrichtet und erzogen. Man erwartete von uns außerdem einige der bedeutendsten sozialistischen Grundfesten auswendig wiedergeben zu können. Die Regale unserer Bibliotheken waren mit verschiedensten Büchern der UdSSR und der DDR gefüllt. Ich las ein bisschen über den Generalskretär der DDR, Erich Honecker.

Fortsetzung folgt...

Text: Shimelis Haile Aga
History Box: Lisa Laubner, Elke Sieber
Redaktion: Michael Geithner, Lisa Laubner
 
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