Ich wünschte, ich hätte für immer bei diesen lieben Menschen leben können. Das Datum unserer Abreise stand fest und jedes Mal, wenn eine Delegation uns verließ, bereiteten wir eine Abschiedsparty vor. Alle machten sich gegenseitig Geschenke und tauschten Adresse aus, um in Kontakt zu bleiben. Viele Fotos wurden geschossen. Ich war in tiefer Trauer während der letzten Tage im Lager. Jeder kam in mein Zimmer und weinte. Die Ungarn und die Inder reisten zuerst ab, wodurch unser Schlafsaal fortan halb leer war. Die Franzosen und die Skandinavier waren die Zweiten. Die Italiener, Bulgaren, Isländer und Leute aus anderen Ländern folgten kurz darauf. Zuletzt reisten die Deutschen und meine Delegation ab.
Katja und ich hatten einen letzten Spaziergang. Sie weinte bitterlich und wir konnten nichts tun, außer hinzunehmen, dass wir getrennte Wege gehen würden. Am nächsten Tag reisten alle Deutschen aus allen Zimmern gleichzeitig ab. Ich hatte nie zuvor so erbitterlich geweint. Wir drei Äthiopier verbrachten die letzten drei Tage allein im Camp. Diese drei Tage waren sehr trist. Ich hatte all meine Freunde, bis auf meine Landsleute, verloren. Coni und Susi versuchten ich zu trösten.
Auf unserem Weg vom Lager zum Berliner Flughafen schaltete der Fahrer des Volkswagens das Radio ein. Ich erkannte das Lied sofort wieder: Es war mein Hochzeitslied! Ich erinnerte mich an die Zeremonie und wie viel Spaß ich in der Pionierrepublik "Wilhelm Pieck" hatte. Ich begann zu schluchzen. Coni und Susi trösteten mich, aber ich konnte nicht anders und musste weinen.
Als ich zum Flugzeug lief, schaute ich zurück zu Coni und Susi. Sie winkten mir zu und lächelten. Die Interflug hob ab und glitt durch die Luft. Ich sah alles aus der Vogelperspektive. Wir machten einen Zwischenstopp in Moskau. Physisch dort, waren mein Herz und meine Gedanken in Deutschland geblieben. Wir blieben eine ganze Nacht dort. Am nächsten Morgen brachte uns eine äthiopische Fluglinie von Moskau nach Addis Abeba. Während ich unter Landsleuten war, dachte ich über meine neu gewonnenen Freundschaften mit den Deutschen nach. Meine Meinung von ihnen hatte sich grundlegend verändert.
Wir landeten in Addis Abeba und erreichten das Waisencamp am nächsten Morgen. Es gab eine Willkommensfeier mit unseren Freunden und Lehrern, wo ich der Schulgemeinschaft den Bericht meiner Delegation über unseren Besuch in der DDR vorstellte. Mein Bericht wurde zum Gesprächsthema in der Schule. Während ich meine Deutschen Freunde und die Zeit, die ich in der DDR verbringen durfte, vermisste, waren meine Schulkameraden immer noch misstrauisch. Langsam begannen einige von ihnen unserere Erziehung diesbezüglich infrage zu stellen und entwickelten eine neue Einstellung dazu. Ich konnte erfolgreich einige der Vorurteile, Stereotypen und falschen Einstellungene von vielen meiner Freunde, Verwandten und der Gemeindschaft, in der ich lebte, verändern, indem ich meine Erfahrungen mir ihnen teilte.
In den ersten Monaten schickten ich und meine deutschen und ungarischen Freunde uns gegeseitig Briefe, aber nach einiger Zeit verlor sich der Kontakt. Ich dachte weiterhin an sie und verfolgte die historischen Veränderungen in Deutschland. Das alles war und ist noch immer ein wichtiger Teil von mir.
Fortsetzung folgt...
Text: Shimelis Haile Aga