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Das Westpaket: Ein Weihnachtstraum in der DDR

Ein Weihnachtsfest ohne Westpaket? Für einige unvorstellbar, für andere die Realität. Dieser Blogbeitrag nimmt das idealisierte Päckchen unter die Lupe und erzählt ganz persönliche Geschichten einiger Mitarbeitender des DDR Museum. von Alexandra de León (20.12.2023)

Marktwirtschaft, Planwirtschaft und Paketwirtschaft

Ein Westpaket ist heute nicht allen bekannt, doch in der DDR wusste jede*r Bürger*in, ob groß oder klein, was damit gemeint war und was es bedeutete, in den Genuss einer dieser Sendungen zu kommen. Gemeint sind die Pakete, die Freund*innen oder Verwandte aus der Bundesrepublik an ihre Liebsten in die DDR schickten. Gerade an Weihnachten rechneten viele Familien in der DDR fest damit, eins zu bekommen. Doch warum etablierten sich keine Ostpakete in den Westen? Ganz einfach: Der Osten, also die DDR, war stärker von wirtschaftlichen Problemen geplagt, die sich für die Bevölkerung in einem spürbaren Warenmangel äußerten. Viele Importprodukte wie Zitronat, Kaffee oder auch diverse Kleidungsstücke von Marken wie Levis waren in der DDR entweder gar nicht erhältlich oder ständige Mangelware. Die Bundesrepublik, die im Gegensatz zur DDR keine (ineffiziente) sozialistische Planwirtschaft, sondern eine soziale Marktwirtschaft hatte, war nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Marshall-Plan finanziell unterstützt worden. Darüber hinaus pflegte sie internationale Handelsbeziehungen, während die DDR aufgrund ihrer starken Abhängigkeit von der Sowjetunion und den Spannungen des Kalten Krieges dabei vor größeren Herausforderungen stand. Der SED-Regierung war dies sehr klar und so wurden Grundnahrungsmittel wie Milch, Eier, Mehl u. v. m. zum Ausgleich stark subventioniert. 

Westpaket

Abb.: Westpaket aus dem Jahr 1962.

Westpaket: Was nicht ging

Was jedem Westpaket beilag, war eine Inhaltsliste mit allen Herrlichkeiten, die darin enthalten waren. Dies war für die Abwicklung beim Zoll vonnöten, denn nicht alle Produkte aus dem Westen waren in der DDR von staatlicher Seite aus gern gesehen. An den Grenzen der DDR wurden strikte Kontrollen durchgeführt und jedes Westpaket musste den Zollbestimmungen entsprechen. Die beigefügte Inhaltsliste erleichterte den Zollbeamten eine zügige und effiziente Überprüfung, um sicherzustellen, dass der Paketinhalt den festgelegten Vorschriften entsprach. Politisch brisante Materialien, die als subversiv und anti-sozialistisch galten, sollten am besten nicht in dem Paket enthalten sein. Doch auch die beliebte Jugendzeitschrift »Bravo«, wie alle Druckschriften, oder heißbegehrte Schallplatten oder Kassetten internationaler Musiker*innen wurden zum Leid der Empfänger*innen am Zoll abgefangen. Tatsächlich konnte es auch passieren, dass sich Mitarbeitende der Stasi, des Zolls oder der Post an vielversprechend wirkenden Westpaketen vergriffen. Zwar mussten die Sendungen, die (zeitweise) zulässigen Höchstmengen der Genussmittel entsprechen, um einen möglichen Handel mit ihnen zu unterbinden. Allerdings dürfte der ein oder andere Langfinger dies auch gelegentlich per Augenmaß abgeschätzt und nach eigenem Ermessen entnommen haben, was ihm gefiel.

Zwei Zeitschriften »Bravo«

Abb.: Ärmelabzeichen der Deutschen Post der DDR aus blauem Stoff und mit gelbem Garn bestickt.

Westpaket: Was gern ging

Doch was war nun in dem viereckigen Highlight einiger Weihnachtsfeste drin? Wenn die Familie sich also zur feierlichen Öffnung versammelte, durfte man mit Folgendem rechnen: Kaffee, Tee, Kakaopulver, Cremes wie zum Beispiel von der Marke »Nivea«, Parfüm von »4711« oder auch Nylon-Strumpfhosen. Ein Produkt erzählt jedoch eine ganz besondere Weihnachtsgeschichte vieler Familien: das Zitronat. Hier kommt der bis heute berühmte und beliebte Dresdner Christstollen ins Spiel, da dieser ohne das aus dem Westen importierte Zitronat nicht gebacken werden konnte. Die Westangehörigen schickten die benötigte Zutat, während die Empfänger*innen die Weihnachtsdelikatesse zubereiteten. Es kam hin und wieder vor, dass einige Familien das fertige Produkt als Gegenleistung zurücksendeten. Rückblickend könnte also doch gesagt werden, dass es klassische Ostpakete gab. 

Auch im Team des DDR Museum sind einige Kolleg*innen in der DDR aufgewachsen. Und alle von ihnen haben ihre ganz persönliche Beziehung zum Westpaket. In diesem Blogbeitrag möchten wir einigen Geschichten Raum geben, damit sie geteilt werden können.

Zwei Inhaltslisten eines Westpakets

Abb.: Handgeschriebene Inhaltsliste eines Westpakets in DIN A5.

Schuhe im Westpaket unseres Haustechnikers Marco Westphal

»Ich erinnere mich noch genau an die Westpakete, die wir bekommen haben, besonders das zu Weihnachten von meiner Tante mütterlicherseits. Neben Strumpfhosen und Kaffee, an dem ich als kleiner Junge weniger interessiert war, gab es für mich Süßigkeiten wie Raider (heute Twix) und weitere Leckereien. Ein ganz besonderes Geschenk waren die Turnschuhe von Nike, die ich zu einer Weihnachtszeit im Westpaket hatte. Da war ich mächtig stolz! Die habe ich natürlich sofort zur Schule angezogen. Meine Mutter wurde dann im Betrieb angerufen und musste mich abholen kommen, weil ich nicht mit den Westschuhen in den Unterricht sollte – und noch dazu war ich kein Jungpionier. Ich habe sie dann in meiner Freizeit sehr gerne getragen.«

Pressesprecherin des DDR Museum Simone Uthleb erinnert sich

»Bereits Wochen vor Weihnachten waren meine Schwester und ich voller Vorfreude, wir wussten, Tante Uschi wird uns auch in diesem Jahr ein Westpaket zu Weihnachten schicken. Trotz großer Bemühungen meiner Eltern, uns Kindern zu Weihnachten eine Freude zu bereiten – ohne Westpaket war das Fest gelaufen. Meist haben wir Kinder das Paket bei der örtlichen Poststelle am Bahnhof mit einem Bollerwagen abgeholt. Tante Uschi war immer sehr großzügig und wusste genau, was kleine Mädchen in der DDR wollten. Schon allein die Abholung war sehr aufregend, wie groß wird in diesem Jahr das Paket wohl sein.

Die Postbeamten übergaben uns das Paket mit Argwohn und oft war es so riesig, dass wir es kaum tragen konnten. Stolz transportierten wir dann unsere Beute mit dem Bollerwagen nach Hause und übergaben dieses unseren Eltern. Ich erinnere mich an den Geruch, schon das Paket roch anders als alles, was man sonst so in der DDR kannte. Dies lag sicherlich auch an dem Kaffee und der Seife, die mitgeliefert wurden.

Nun galt es nur noch die Tage bis Heiligabend zu zählen. Am Heiligen Abend sind wir Kinder zu unserer Oma gelaufen und es gab selbstgebackene Plätzchen und Brause. In der Zeit schmückten unsere Eltern den Weihnachtsbaum, legten die Geschenke bereit und Mutti kümmerte sich um das Fondue, was es immer Weihnachten bei uns gab.

Um 18 Uhr war es endlich so weit, »Peter Schreier singt Weihnachtslieder« lief wie jedes Jahr, die Stubentür war zugehangen und endlich durften wir ins Wohnzimmer, den glitzernden Baum bewundern und uns endlich auf die Geschenke stürzen. Zuerst wurde alles beäugt, was aus dem Westen kam, erst danach haben wir uns mit den Geschenken unserer Eltern beschäftigt. Die Beschaffung war damals eine Herausforderung, die Geschenke wurden schon im Laufe des Jahres angeschafft, es gab auch selbstgestrickte Pullover, Mützen oder Handschuhe, einen Schlitten oder Chemiebaukasten. Mein Vater war handwerklich sehr begabt und hat auch viel selbst gebastelt. Heute würde ich mich über diese selbstgebastelten oder gestrickten Sachen viel mehr freuen. Damals haben wir uns vom Westfernsehen und deren Werbung sehr beeinflussen lassen, da es für uns ungreifbar war.«

 

Schallplatte »Peter Schreier singt Weihnachtslieder«

Abb.: Eterna Schallplatte mit 20 Weihnachtsliedern gesungen von dem Thomanerchor Leipzig und Peter Schreier.

Erinnerung des Museumsdirektors Gordon von Godin

»Wir haben unterschiedliche West-Verwandtschaft gehabt: Der Bruder meines Vaters lebte in Schorndorf bei Stuttgart und die Schwester meines Vaters in Kempten im Allgäu. Die Westpakete kamen unregelmäßig, fast ausschließlich von meinem Onkel aus Schorndorf, da er wirklich wohlhabend war. Meine Tante jedoch war in der Kirche, hatte selbst 4 Kinder groß zu ziehen und hatte selbst nicht viel zum Teilen. Sie schickte sehr viel seltener ein Paket, meist mit viel selbst gebastelten Dekorationsdingen. Ein Westpaket durften wir ein bis zweimal im Jahr bekommen, meist vor Weihnachten und dann noch einmal eher unregelmäßig. 

Wir haben übrigens nie Ostpakete zurück in den Westen geschickt. Wir haben uns immer telefonisch bedankt, einen Brief oder eine Karte als Danksagung geschickt, meist auch mit Fotos. Das schlimme war ja, man traf sich vielleicht mal alle vier bis fünf Jahre, also man musste sich immer wieder zu dem Alter der Kinder, Eltern und Großeltern updaten. Das Paket musste man in der Post abholen. Es gab keinen Bringdienst im Osten.«

Das Westpaket – ein Winternachtstraum. Manche DDR-Bürger*innen meinen, es hätte kein richtiges Weihnachtsfest ohne ein Westpaket gegeben. Doch was ist da dran?  Dieser Blogbeitrag wirft einen genaueren Blick auf das idealisierte Päckchen und befragt einige Mitarbeitende des DDR Museum zu ihrer persönlichen Beziehung dazu. Viele im Team sind schließlich in der DDR aufgewachsen und sind mehr oder weniger damit in Berührung gekommen. 

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