Die Ausstellung »Leseland DDR« ist ein Beitrag zur Kulturgeschichte der SED. Sie führt durch die Welt der Krimis, Märchen und Science-Fiction. Leseland DDR erzählt von Menschen, die sich ihre Lektüre nicht vorschreiben lassen wollten, die in der Schlange standen, um ein rares Buch zu erbeuten und sich auf der Leipziger Buchmesse so manch einen Titel westdeutscher Verlage heimlich in die Tasche steckten. Die Ausstellungsplakate berichten von der Literatur aus der Sowjetunion, den schreibenden Arbeitern des sozialistischen Realismus und sie lassen in alten Kochbüchern stöbern. Die Zeitreise endet mit den Schriftstellern in der friedlichen Revolution und der DDR als Thema in der Gegenwartsliteratur.
Wir haben mit dem Autor der Plakatausstellung, Dr. Stefan Wolle, gesprochen. In dem Interview gibt er seine persönlichen Einblicke in die Ausstellung.
Kann man die DDR wirklich als »Leseland« bezeichnen?
Das zeigen schon die Bilder, von denen ja einige auf den Tafeln zu sehen sind. Vor Buchhandlungen standen oft Käuferschlangen, so zum Beispiel vor dem »Guten Buch« am Alexanderplatz in Berlin, wo ich 1969 und 1971 als Buchhändler gearbeitet habe. Das hatte zum einen mit dem Mangel an begehrten Büchern zu tun, aber auch mit den niedrigen Preisen. Man nahm mit, was man bekam und stellte es sich zunächst zu Hause ins Bücherregal.
Was bedeuteten Bücher in der DDR?
Da das gesamte System auf einer Theorie, dem Marxismus-Leninismus, basierte, wurden Bücher ungeheuer ernst genommen. Die Zensur, die es formal nicht gab, war penibel bis lächerlich. Auf der anderen Seite war der Staat sehr pädagogisch. Kunst sollte eine Produktivkraft beim Aufbau des Sozialismus sein. Die Schriftsteller wurden extrem wichtig genommen und gleichzeitig wie unmündige Kinder behandelt.
Wie gingen die Leser damit um?
Literatur ist in autoritären Gesellschaften immer auch ein Stachel im Fleisch der Obrigkeit. Bücherfreunde sind nicht unbedingt rebellische Untertanen. Sie sind aber anfällig für kritische Gedanken. Zudem holten sich viele Leser aus den belletristischen Werken Informationen über Probleme, die in den offiziellen Medien nicht vorkamen. Auch lernten die Leser in der abgeschotteten Gesellschaft des Mauerstaats auf diese Weise die Welt kennen.
Welches Buch aus DDR-Zeiten sollte noch heute gelesen werden?
Da muss ich mit einem Irrtum aufräumen. Es geht in der Ausstellung »Leseland DDR« nicht primär um die DDR-Literatur im engeren Sinne. Es geht um das Buch, die Buchkultur, die Verlage, Bibliotheken, den Buchhandel und vor allem um die Leser.
Wer sich über die DDR-Gesellschaft informieren will, sollte besser zu Büchern greifen, die entweder im Westen oder nach 1989 erschienen sind. Ein paar Ausnahmen gibt es, so z.B. Erich Loest »Es geht seinen Gang«.
Hatten Sie einen Lieblingsautor in der DDR?
Mit vierzehn war Jack London mein Favorit, mit sechzehn Stefan Zweig, mit achtzehn Ernest Hemingway, mit Mitte zwanzig Robert Musil, Joseph Roth und Arthur Schnitzler. Heute Milan Kundera, Wladimir Nabokov und Philipp Roth. Es gibt aber auch Dauerhits über die Jahrzehnte, wie E.T.A. Hoffmann. Auch auf meine alten Lieblinge komme ich gerne zurück, sei es als Lektüre oder als Hörbuch. So habe ich vor einigen Monaten Jack Londons »Lockruf des Goldes« wiedergehört. Sehr spannend!
Kostenlos können die 20 Ausstellungstafeln an den Schaufenstern des Konferenzraums in der St. Wolfgang-Straße 2 betrachtet werden. Nur wenige Schritte vom DDR Museum entfernt beginnt die Zeitreise in das Leseland DDR. Eine gute Gelegenheit in der Vorweihnachtszeit die Geschichte der DDR durch den Blick auf ihre Literatur (neu) zu erkunden. Herzlich willkommen!
Herausgegeben wird die Ausstellung »Leseland DDR« von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Autor der Ausstellung ist der Historiker und Publizist Dr. Stefan Wolle, der auch der wissenschaftliche Leiter des DDR Museum ist.
Der Begleitband zur Ausstellung »Leseland DDR« von Stefan Wolle kann beim Metropol Verlag bestellt werden.
Die Ausstellung »Leseland DDR« ist in mehreren Sprachfassungen gegen eine geringe Schutzgebühr als Poster-Set bei der Bundesstiftung Aufarbeitung erhältlich. Darüber hinaus werden weitere Formate und deren fremdsprachige Fassungen als Druckdateien bereitgestellt.
Bildquelle: © Bundesstiftung Aufarbeitung