Nach der Kapitulation der verbleibenden Reste der Wehrmacht am 8. Mai 1945, wurde das besiegte Deutschland in vier Besatzungszonen aufgeteilt, die von den Alliierten Frankreich, Großbritannien, den USA und der Sowjetunion kontrolliert wurden. Die jeweiligen Einflusssphären wurden Monate zuvor auf der Konferenz von Jalta durch die Regierungschefs der Alliierten Hauptmächte festgelegt. Josef Wissarionowitsch Dschughaschwili, besser bekannt unter seinem »Kampfnamen« Stalin, spielte bei der Aufteilung Deutschlands und der daraus resultierenden Nachkriegsordnung in Europa eine bedeutende Rolle. In dem von den Sowjets kontrollierten Teil Deutschlands, der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), wurden umgehend politische Strukturen nach sowjetischem Vorbild installiert. Stalin stand als langjähriger Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) und ab 1946 als Vorsitzender des Ministerrats der UdSSR im Zenit seiner Macht. Mehrere Jahrzehnte lang prägte er die Politik seines Landes maßgeblich. Der um ihn in der Sowjetunion entstandene Personenkult wirkte dementsprechend auch auf die SBZ und die junge DDR.
Abb.: »Natur und Heimat - Eine Monatsschrift mit Bildern« 1953/4
Zu Ehren von Stalins 70. Geburtstag am 28. Dezember 1949 überschlugen sich die Printmedien. Die russische Zeitschrift »Neue Welt« widmete die komplette Dezemberausgabe dem »Großen Führer« Stalin. In Berlin-Mitte wurde die Alte Frankfurter Straße in Stalinallee umbenannt. Dort sollten in den Folgejahren repräsentative und moderne Bauten im Stil des »Sozialistischen Klassizismus« entstehen. Das Buch »Die Stalinallee: Die erste sozialistische Straße der Hauptstadt Deutschlands Berlin« aus dem Jahr 1952 dokumentiert propagandistisch die Bauarbeiten anhand von zahlreichen Fotos sowie Text- und Kartenmaterial.
Abb.: Buch »Vorwärts zum Aufbau des Sozialismus. Die Stalinallee die erste sozialistische Straße der Hauptstadt Deutschlands Berlin«
Im Sommer 1950 entstand östlich von Berlin das Eisenhüttenkombinat Ost. Die Wohnstadt für die Arbeiter*innen wurde zu Ehren des großen Vorbilds Stalinstadt genannt und galt prototypisch als die »erste sozialistische Stadt«.
Abb.: Postkarte »Stalinstadt«; Graphokopie H. Sander K. G. Berlin, 1960
Einige Monate nach Stalins Tod im März 1953 streikten viele Arbeiter*innen der Baubrigaden rund um die Stalinallee, um ihren Unmut gegen die geforderten Normerhöhungen auszudrücken. Die regionale Protestbewegung gipfelte Tage später im landesweiten Volksaufstand des 17. Juni 1953, welche nur mit russischer Hilfe und vielen Toten und Verletzten unter Kontrolle der DDR-Regierung gebracht werden konnte. Ironischerweise begann die Protestbewegung an dem Ort, der sinnbildlich für den Personenkult um Stalin in der DDR stand.
Der Nachfolger Stalins, Nikita Sergejewitsch Chruschtschow, hielt auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 eine Rede, in der er den Personenkult um Stalin und die Verbrechen der 1930er-Jahre – der Zeit des Großen Terrors, dem mehrere Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind – kritisierte. So forcierte Chruschtschow die »Entstalinisierung« und sicherte zugleich seine eigene Integrität und Machtstellung. In der Folgezeit wurden im gesamten Ostblock Denkmäler Stalins abgebaut sowie Straßen, Plätze und Städte umbenannt.
Nach dem Mauerbau nahm die »Enstalinisierung« in der DDR konkrete Formen an. Das knapp fünf Meter große Stalindenkmal auf der gleichnamigen Allee in Berlin wurde in den Herbstmonaten 1961 abgerissen und eingeschmolzen. Die Straße wurde in dem Zuge dessen in Karl-Marx-Allee umbenannt. Diesen Namen trägt sie noch heute.
Abb.: Matrjoschka-Figuren sowjetischer Politiker: (von links nach rechts): Gorbatschow, Breschnew, Chruschtschow, Stalin, Lenin
In den Printmedien, vor allem im Zentralorgan »Neues Deutschland« ist ebenfalls ein Bruch mit der Person Stalins zu sehen. Taucht der Begriff Stalin beispielsweise 1951 insgesamt 3218 Mal im Neuen Deutschland auf, so sind es zehn Jahre später nur noch 348 Einträge. Im Jahr darauf gar nur noch 55 Erwähnungen. Auch in den Geschichtsbüchern aus dieser Zeit wird die Bedeutung Stalins für den Zeitraum zwischen 1925 bis zu seinem Tod 1953 heruntergespielt. Im Geschichtsbuch für die 9. Klasse aus dem Jahr 1977 findet Stalin eher beiläufig Erwähnung, der Schwerpunkt liegt dort eindeutig beim Marxismus-Leninismus sowie der Arbeiterklasse und der Partei. Das Modell Stalin hatte sich überholt. Die Geheimrede Chruschtschows aus dem Jahr 1956 erschien dann übrigens in der Wendezeit auch in der DDR. Der Dietz Verlag druckte das Redemanuskript 1990 und veröffentlichte das Buch.
Anmerkung der Redaktion: Der Blogbeitrag erschien erstmals am 23. April 2015.