DDR-Geschichte

Queerness in der DDR

In diesem Blogbeitrag werden unterschiedliche Formen der Diskriminierung queerer Menschen in der DDR sowie die begrenzten Handlungsspielräume, die ihnen zur Verfügung standen, thematisiert. von Alexandra de León (26.06.2023)

Gesetzliche Rahmenbedingungen

Der berüchtigte Paragraph 175, der bereits aus der Kaiserzeit stammte und während des Nazi-Regimes verschärft wurde, kriminalisierte »widernatürliche Unzucht« zwischen Männern. Allerdings wurde dieser Paragraph nicht nur gegen homosexuelle Männer angewendet. Nach dem Volksaufstand am 17. Juni 1953 nutzte die SED ihn als Vorwand, um unliebsame Personen zu diskreditieren und ihre eigene Machtsicherung zu betreiben. Erst vier Jahre später erklärte ein Kammergericht in Ost-Berlin, dass schwules Leben keine Gefahr für die sozialistische Ordnung darstelle und setzte den Paragraphen faktisch außer Kraft. Dennoch blieb er bis 1968 bestehen, wo er durch den Paragraphen 151 ersetzt wurde. Dadurch war Homosexualität zwischen erwachsenen Männern zwar nicht mehr illegal, doch für homosexuelle Handlungen wurde nun ein höheres Schutzalter als für heterosexuelle Kontakte etabliert, das erstmals auch homosexuelle Handlungen unter Frauen inkludierte.

Verschiedene Bücher zum Thema Recht in der DDR

Abb.: Bücher zum Thema Recht

Gesellschaftliche Unterdrückung und Diskriminierung

In der DDR, ähnlich wie in viele Orten zu der Zeit, wurde Homosexualität als »abnorm« und konträr zur sozialistischen Norm der heterosexuellen Familie betrachtet. Trotz der neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen, verfolgte der Staat eine Politik der Unterdrückung und Diskriminierung von queeren Menschen, die mit Strafen, Stigmatisierung und sozialer Ausgrenzung einherging. Homosexuelle Handlungen konnten neben einer Verhaftung auch zu weiteren verschiedenen Formen der gesellschaftlichen Unterdrückug und Ausgrenzung führen wie dem Verlust des Arbeitsplatzes.

Buch »Die Geschlechterfrage: Ein Buch für junge Menschen«

Abb.: »Die Geschlechterfrage: Ein Buch für junge Menschen«, 5. Auflage, Herausgegeben vom VEB Greifenverlag

Unterdrückung und Zersetzung

Queere Gruppen und Einzelpersonen sahen sich sowohl vor als auch nach der Abschaffung des Paragrafen 175 mit sozialer Ausgrenzung und einer gezielten staatlichen Unterdrückung konfrontiert. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) hatte dabei besonders die Personen im Fokus, die aktiv in der Szene unterwegs waren. Im Rahmen von Operativen Vorgängen (OV) namens »Orion«, »Dreieck«, »Lesbos« wurden queere Personen überwacht und teilweise Opfer einer sogenannten »Zersetzung«. In diesem Kontext wurden Personen oder Gruppen systematisch diskreditiert, es wurden berufliche und gesellschaftliche Misserfolge herbeigeführt und Misstrauen sowie Rivalitäten innerhalb der Gemeinschaft geschürt. Umgesetzt wurden diese Methoden vor allem von Inoffiziellen Mitarbeitern (IMs), die dafür eingeschleust wurden. Das dargestellte Foto zeigt einen nachempfundenen Verhörraum aus der Dauerausstellung unseres Museums.

Nachgestellter Verhörraum des DDR Museum mit einem Stuhl, einem Tisch und einer Schreibtischlampe

Abb.: Nachgestellter Verhörraum des DDR Museum 

Subkulturelle Emanzipation und Widerstand

Trotz der Repression entwickelte sich in der DDR eine subkulturelle Szene, in der sich lesbische, schwule, bisexuelle und transidente Menschen miteinander vernetzten und Solidarität fanden. Diese Szene bot einen Raum der Emanzipation, in dem alternative Formen des Zusammenlebens, des Ausdrucks der eigenen Sexualität und der Identitätsbildung möglich waren. Queere Menschen gründeten informelle Treffpunkte, Clubs und Organisationen, die als Schutzräume dienten und den Austausch von Erfahrungen und Ideen ermöglichten.

Ein Beispiel stellt die Homosexuelle Interessengemeinschaft Berlin (HIB) dar, die zahlreiche Petitionen an die Polizei, die Volkskammer und andere Institutionen richtete. Sie traf sich im Keller des bekannten Gründerzeitmuseums von Charlotte von Mahlsdorf, bis ihr im Jahr 1978 ein Versammlungsverbot auferlegt wurde.

Sechs bunte Schnapsgläser

Abb.: Bunte Becher aus Metall

Kirche als Unterstützung

In den 1980er-Jahren wurde in der DDR eine Vereinbarung zwischen der Kirche und dem Staat getroffen, die es queeren Gruppen ermöglichte, sich in protestantischen Kirchen zu treffen. Diese Vereinbarung eröffnete den Mitgliedern der Lesben- und Schwulenbewegung die Möglichkeit, sich effektiver zu organisieren und zu mobilisieren. Unter der Leitung von Eduard Stapel wurde 1982 der erste Arbeitskreis Homosexualität in der Evangelischen Studentengemeinde in Leipzig ins Leben gerufen. Weitere Gruppen innerhalb der Evangelischen Kirche folgten 1983 in der gesamten DDR. Das Hauptziel dieser Gruppen bestand darin, die Probleme von Homosexuellen sichtbar zu machen, Informationen für Interessierte bereitzustellen und eine Vielzahl von Diskriminierungsfeldern abzubauen.

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