Seit dem Sommer 1989 häuften sich die dramatischen Nachrichten aus dem gesamten sowjetischen Machtbereich. Offenbar war der Machtverfall der kommunistischen Führungen nicht mehr aufzuhalten. Hinzu kamen die täglichen Fernsehbilder von DDR-Flüchtlingen, die in Budapest und Prag versuchten, ihre Ausreise zu erzwingen.
Es war dringend geboten, dass sich auch in der DDR die Opposition politisch organisierte. Ein Aufruf des »Neuen Forum« vom 12. September 1989 war das Steinchen, das die Lawine ins Rollen brachte. Meist in kirchlichen Räumen konstituierten sich politische Parteien. Dazu gehörten auch die Grünen. Die Umweltbewegung hatte ihre Wurzeln in der Friedens- und Menschenrechtsbewegung, die seit den späten 70er-Jahren im Schutzraum der Kirche tätig war. Viele der Gruppen widmeten sich sowohl dem Kampf gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Ost und West, den Bürgerrechten, der Demokratie als auch den Umweltproblemen.
Die ökologische Katastrophe war in der DDR mit Händen zu greifen und der Staat tat viel zu wenig, die Schäden zu begrenzen. Dies hatte konkrete Ursachen. Die Wirtschaft befand sich aufgrund der steigenden Ölpreise in den 70er-Jahren in einer schwierigen Lage. Einschränkungen im Lebensstandard kamen aus Furcht vor politischer Instabilität nicht in Frage. Deswegen griff die DDR immer stärker auf die Braunkohle als Energieträger zurück. Dafür wurden massive Umweltschäden in Kauf genommen. Hinzu kam schon seit längerer Zeit ein technologischer Rückstand gegenüber dem Westen. Die Chemieindustrie arbeitete mit veralteter Technik, die den modernen Umweltstandards nicht gerecht wurde. Die Umweltschäden waren überall zu sehen, so z.B. durch den Uranbergbau »Wismut« im Erzgebirge und im Chemiedreieck zwischen Halle, Merseburg und Bitterfeld, wo sich die wichtigsten aber auch die umweltschädlichsten Chemiestandorte der DDR befanden. Trotzdem wurden staatlicherseits alle Probleme unter den Teppich gekehrt. Umweltdaten wurden geheim gehalten und das Thema in der Öffentlichkeit kaum diskutiert. Die Mitglieder der Umweltgruppen wurden als Staatsfeinde behandelt und von der Staatssicherheit verfolgt. Bis 1988 organisierten sich etwa 80 Umweltgruppen auf diese Weise. Dennoch gelangen den Aktivist*innen der Ökologiebewegung einige spektakuläre Erfolge. 1988 wurde der Dokumentarfilm »Bitteres aus Bitterfeld« gedreht und vom Westfernsehen ausgestrahlt. Er machte die dramatischen Auswirkungen der Einleitung von Giftstoffen in die Gewässer im Chemiebezirk in Sachsen-Anhalt deutlich.
Die Unterstützung der bundesdeutschen Grünen war für die Umweltgruppen in der DDR sehr wichtig. Führende grüne Politiker, wie Petra Kelly und Gert Bastian, setzten sich für die Bürgerrechte in der DDR ein und mussten sich sowohl gegen Einreiseverbote in die DDR als auch gegen Widerstände in der eigenen Partei wehren. Denn die Entscheidung, als westdeutsche Partei in die ostdeutsche Politik einzugreifen, wurde nicht von allen Parteimitgliedern unterstützt. Das Eingreifen der Grünen in die Umweltpolitik der DDR würde – so meinten manche – die Fortschritte der Entspannungspolitik gefährden. Aber einige Mitglieder machten weiter. So reisten einige westdeutsche Grüne am 12. Mai 1983 nach Ostberlin, um an einer von DDR-Oppositionellen organisierten Demonstration auf dem Alexanderplatz teilzunehmen. Sie wurden von den Sicherheitskräften festgenommen, als sie ein Plakat mit dem »Schwerter-zu-Pflugscharen«-Symbol zeigten. Das Symbol – eine Kombination aus einer sowjetischen Skulptur, die in New York vor dem UNO-Hauptquartier steht und einem Zitat aus dem Alten Testament – wurde seit 1978 von der Friedensbewegung der DDR verwendet.
Am 5. November 1989 veröffentlichte die »Initiative zur Gründung einer Grünen Partei in der DDR« einen Gründungsaufruf. Drei Wochen später, am 24. November 1989, stellte die Initiativgruppe den Aufruf auf dem 6. Berliner Ökologieseminar vor, auf dem die Grüne Partei dann gegründet wurde. Diese Parteigründung war unter den Aktivisten der Umweltbewegung sehr umstritten. Parallel bildete sich am 26. November 1989 eine Grüne Liga, der es vor allem um konkrete Maßnahmen zum Umweltschutz ging und die eine parteipolitische Verengung ihres ökologischen Anliegens befürchtete.
Von Anfang an versuchten die ostdeutschen Grünen, sich von ihren westdeutschen Partnern zu unterscheiden. So wählte die Partei ihr eigenes Logo im Gegensatz zur Sonnenblume, die die westdeutschen Grünen gewählt hatten.
Am 18. März fand die letzte demokratische Wahl zur Volkskammer der DDR statt, in der die Grüne Partei in einem Wahlbündnis mit dem Unabhängigen Frauenverband (UFV) nur 1,97 % der Stimmen bekam und mit 8 Abgeordneten in das Parlament einzog. Die Partei hatte sich dagegen entschieden, gemeinsam mit dem neu gegründeten Wahlbündnis »Bündnis 90« anzutreten, einem Zusammenschluss des »Neuen Forum«, der »Initiative Frieden und Menschenrechte« (IFM) und »Demokratie Jetzt« (DJ). Das »Bündnis 90« kam bei der Volkskammerwahl am 18. März 1990 auf 2,91 % der Stimmen und somit auf 12 Mandate.
Insgesamt war das eine bittere Niederlage für die Gruppen, welche jahrelang in der Opposition tätig gewesen waren und die Friedliche Revolution angestoßen hatten. Zumal das Prestige und die mediale Präsenz der Protagonisten der Bürgerrechtsbewegung ungebrochen war. Doch die Masse der Wähler wollte vor allem schnell die deutsche Einheit und betrachtete alle anderen Fragen als nachgeordnet. Von der Übernahme der D-Mark versprach sie sich Wunderdinge. Die Grünen aber warnten damals schon vor einem Ausverkauf des Ostens.
Bild: Logo Grüne Partei der DDR, Bundesarchiv, Bild 183-1990-0208-015 / CC-BY-SA 3.0
Am 2. Dezember 1990 fand die erste Bundestagswahl im wiedervereinigten Deutschland statt. Aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes wurde in zwei Wahlgebieten abgestimmt. Für die ehemalige DDR war die Fünf-Prozent-Hürde aufgehoben. Während die westdeutschen Grünen in den alten Bundesländern mit 4,8 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten, gewann die Grüne Partei zusammen mit dem Bündnis 90 und anderen Gruppen der Bürgerrechtsbewegung in den neuen Bundesländern 6 Prozent. Dies führte dazu, dass im ersten gesamtdeutschen Bundestag nur die ostdeutschen Grünen vertreten waren. Sie nutzten die Legislaturperiode sehr erfolgreich, um spezifische ostdeutsche Anliegen durchzubringen, u.a. die Gründung der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen.
Am 21. September 1991 vereinigten sich Ost- und Westgrüne formell zur Partei Bündnis 90/Die Grünen. Spezifische grüne Anliegen hatten es in den folgenden drei Jahrzehnten im Osten nicht leicht. Hauptsorge der Menschen war nicht die Ökologie, sondern die Arbeitslosigkeit und die schlechteren Lebensverhältnisse im Osten. Insbesondere die Einstellung der Braunkohleförderung in Brandenburg und Sachsen erzeugte wenig Begeisterung. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 und die daraus resultierenden Sanktionen gibt es viel Widerspruch gegenüber der Bundesregierung, in der die Grünen eine zentrale Rolle spielen. Seit dieser Zeit bilden die berechtigten wirtschaftlichen Sorgen, die aus der DDR überkommene Verbundenheit mit Russland, Ostalgie und antiwestlichen Ressentiments ein politisch gefährliches Protestpotential. Die Grünen haben es in dieser Situation schwer, für ihre traditionellen Anliegen Zuspruch zu erlangen.