Ein Roman über die DDR könnte an einem Sonntagnachmittag beginnen, vielleicht in einer jener Gartengegenden am Rande der Großstadt. Die Uhren scheinen stehen geblieben zu sein. Die unermüdlichen Wochenendbrigaden gönnen sich eine Stunde der Muße. Das in rhythmischen Intervallen aufkreischende Jaulen der Kreissägen und das monotone Rumpeln der Betonmischer sind verstummt. Über den Gärten liegt der Geruch von selbstgebackenem Kuchen. Geschirr klappert. Man versammelt sich zur heiligen Stunde des Nachmittagskaffees. Gedämpft klingen Gesprächsfetzen über den Gartenzaun: »...noch ein Stück Pflaumenkuchen? … natürlich selbstgebacken ... Eine Tasse Kaffee? ... Ein Schlückchen Kaffeesahne gefällig? ... Oh, echte Kaffesahne! Wo gab es denn die?«
Die Kaffeesahne in den kleinen orangefarbenen Tetraedern war schwer zu bekommen. Zur Not konnte man die H-Milch aus den großen blauen Abpackungen nehmen. Doch auch H-Milch wurde zum Wochenende hin knapp. So mussten sich die Hausfrauen spätestens am Donnerstag in die Schlange vor der Kaufhalle einreihen oder man brachte die Kaffeesahne aus Berlin mit. Nun war man bei einem unerschöpflichen Thema: »... wegen einer Rolle Dachpappe herumgerannt ... fünf Jahre Wartezeit ... eine Eingabe sollte man schreiben ... vielleicht kann mein Schwager im Betrieb mal schauen ...«. Wenn es überhaupt Probleme gab, so waren es Versorgungsprobleme. Alle waren unzufrieden und alle – oder doch fast alle – passten sich an, kümmerten sich um das Nächstliegende, versuchten, das Beste aus der Situation zu machen. Man hatte sich eingerichtet und kannte die Spielregeln.
Die Gartenlaube als Ort des Rückzugs aus der Politik ist älter als die DDR. Es hat sie auch woanders gegeben und es gibt sie auch heute noch. Und doch ist sie in ihrer russischen Namensform als Datsche zu einem zentralen Symbol des Lebens in der DDR geworden. Obwohl der Schrebergarten durchaus eine proletarische Tradition hatte, wurden die Laubenpieper in der DDR oft als Kleinbürger und Spießer geschmäht. Andererseits brauchte man die Eigenleistung der Kleingärtner und Kleintierzüchter zur Aufbesserung der Versorgung. Die bei staatlichen Sammelstellen abgelieferten Produkte wurden ordentlich bezahlt oder mit Gegenleistungen wie Hühnerfutter vergolten. Frisches Obst und Gemüse wurde nach Westberlin geliefert und brachte Devisen. Natürlich entging es der Partei- und Staatsführung nicht, dass sich die Menschen zunehmend hinter ihren Gartenzäunen einigelten. Die Arbeit auf dem Grundstück nahmen viele wichtiger als ihre Tätigkeit im volkseigenen Betrieb. Manch einem diente die Arbeit von Montag bis Freitag vor allem dazu, Material und Transporte für das Wochenende zu organisieren.
Spätestens in den achtziger Jahren begann die SED-Führung den Rückzug in die Schrebergartenidylle zu akzeptieren. Besser die Menschen strebten auf ihre Datschen als in den Westen. Wer ein Grundstück besitzt, stellt keinen Ausreiseantrag. Selbst bei der Bestätigung von Westreisen fiel der Besitz einer Datsche positiv ins Gewicht. Die Entpolitisierung, die der Staat ursprünglich beklagt hatte, stabilisierte die Gesellschaft in gewisser Weise. In den letzten Jahren der DDR wurde zunehmend Bauland für Datschenbauer zur Verfügung gestellt und am Rande der Plattenbauten entstanden parzellierte Flächen mit winzigen aber liebevoll gestalteten Häuschen. Doch der Sonntagnachmittag, als die Zeit stehen geblieben zu sein schien, konnte nicht ewig dauern. Die Uhr der Geschichte tickte unerbittlich weiter und auch die geliebte Scheinidylle der Datsche konnte die Republik der Laubenpieper nicht retten.
Anmerkung der Redaktion: Der Blogbeitrag erschien erstmals am 7. März 2014.