Die 1907 bei Dresden gegründeten Deutschen Werkstätten Hellerau waren eine der
Wiegen des bis heute existierenden Deutschen Werkbundes und bis zur
Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 ein Flaggschiff der kulturreformerischen europäischen Moderne im Serienmöbel- und Innenausbau. Nach Ende des II. Weltkrieges zu einem „volkseigenen“ Unternehmen (VEB) umgewandelt, wirkten am Neubeginn im vormaligen guten Geist vorbildlicher Produktkultur auch ehemalige Bauhäusler als Gestalter mit. So neben Franz Ehrlich, dem Schöpfer der legendären Hellerauer Typenmöbelserie 602 in den 1950er Jahren, auch Selman Selmanagić. Beide hatten bis 1932 am Bauhaus Dessau studiert. Selmanagić war der erste von den Beiden, der in Hellerau gestalterisch buchstäblich „zu Stuhle“ kam: nämlich mit dem ab 1949 in Massenauflage produzierten so genannten „Seminarstuhl“, den er gemeinsam mit dem Ex-Bauhäusler Herbert Hirche und der in den 1920er Jahren in Hellerau ausgebildeten Möbeltischlerin Liv Falkenberg entwickelte.
Das zur Ausstattung von ihren Lehrbetrieb wieder oder neu aufnehmenden
zahlreichen Fach- und Hochschulen vorgesehene Sitzmöbel hatte ein in mehrfacher Hinsicht bemerkenswertes Design: Konstruktiv basierte es auf seriell praktisch unbegrenzt produzierbaren und rasch zusammenfügbaren robusten Gestell-Segmenten aus Massivholz und einer Rückenschale aus Schichtholz. Es hielt nicht nur viel aus, ohne zu gewichtig zu sein, sondern war zudem ergonomisch perfekt genug ausgetüftelt, um auch längere Benutzungsphasen überstehen beziehungsweise „übersitzen“ zu können. Auch hatte es extra breit ausgelegte Armlehnen, auf denen sich eine Schreibunterlage gut platzieren ließ.
Frappierend war nicht nur, sondern ist immer noch die extreme Langlebigkeit dieses Möbels, das auch noch bis über das Ende der DDR hinaus in zahlreichen Exemplaren Seminarräume bevölkerte.
Unser hier abgebildetes Seminarstuhl-Exemplar wurde erst um die Jahrtausendwende herum aus dem Bestand der Humboldt Universität zu Berlin ausgemustert. Heute ist Selman Selmanagićs Stuhl ein bei Museen und Sammlern begehrter europäischer Designklassiker des 20. Jahrhunderts.
Günter Höhne ist Autor verschiedener DDR Design Bücher wie „Arbeit, Freizeit, Ferien“, „Wohnungen für alle: Vom Leben im Plattenbau“ und „Das große Lexikon: DDR-Design“. Seine zuletzt im Komet Verlag erschienen und kurzzeitig vergriffenen beiden Bände mit dem Titel DDR Design (Untertitel: Kultur im Heim bzw. Arbeit, Freizeit, Ferien) sind jüngst im Originalformat bei Bild und Heimat, Berlin neu aufgelegt worden. Einige seiner Bücher sind auch vor Ort in unserem Museumsshop erhältlich.
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