Das Bauhaus in Dessau (1926 – 1932) gilt bekanntlich als eine deutsche Wiege der bis heute anhaltenden Stahlrohrmöbel-Moderne. Hergestellt wurden die Dessauer Modelle vorrangig bei einem Produzenten im gut einhundert Kilometer elbabwärts gelegenen Stendal, aber auch ab den 1950er Jahren wanderten von hier wieder zunehmend Metallstühle hinaus in die Welt, vor allem allerdings in die kleine der DDR. Zwar bei weitem nicht so aufsehenerregende wie jene der einstigen Bauhäusler, dafür aber in Stückzahlen, von denen diese nur träumen konnten. Hersteller der sich massenhaft buchstäblich „unters Volk“ begebenden stählernen Vierbeiner war der nach 1945 verstaatlichte selbe Betrieb, nun unter dem Namen VEB Stahl- und Industriemöbelwerke STIMA. Sein Renner (wenn paradoxer Weise bei einem Stuhl von so etwas die Rede sein kann) wurde der ab 1959/60 und bis zum Abgang der DDR fabrizierte Stahlrohr-Stapelstuhl „Modell 3101“, so dessen recht prosaischer Name.
Abb.: Nachfolger des Stendaler DDR-Stuhl 3101, Stapelstuhl COMEBACK
Das Modell 3101 wurde in der Folge nicht nur in Stendal, sondern auch in anderen Betrieben in Millionen-Auflage hergestellt, so in einem Eislebener Werk des VEB Mansfeld Kombinat „Wilhelm Pieck“, hier unter der auch nicht poetischeren Bezeichnung „MSB 62“. Bis 1990 allein hier in jährlichen Stückzahlen von 100.000 Exemplaren, aber unterschiedlichen Ausführungen: mit Sperrholzsitz und -rückenlehne oder auch gepolstert und da wiederum mit Möbelstoff, Kunstleder oder „abwaschbarer Weichfolie“ bezogen. Das spartanisch konstruierte Gestell (zwei S-förmige dünne Stahlrohre links und rechts sowie ein U-förmiges für die Hinterbeine) konnte verchromt werden. Das wurde es aber nur in Ausnahmefällen und erhielt stattdessen überwiegend grau oder schwarz lackiertes „Outfit“, oft auch eine nicht weniger triste schwarze Kunststoff-Ummantelung. Die eignete sich während langweiliger Arbeitsbesprechungen oder Gewerkschafts- und Parteiversammlungen prima zum Dranrumknispern und Abpuhlen. Wenn der Kopf abschaltete, hatten so die Hände wenigstens etwas zu tun.
Abb.: DDR-Stuhl Modell 3101 in Holzausführung
Abb.: DDR-Stuhl Modell 3101 mit Kunstlederbezug
In einer Werbeschrift des Ostberliner „Zentralen Warenkontors Möbel–Kulturwaren–Sportartikel“ von 1982 wird versichert, dieses „zweckmäßige Gebrauchsmöbel“ erfülle „alle Ansprüche, die an Sitzmöbel in Speisesälen, Kantinen, Gaststätten, Aufenthaltsräumen, Wartezimmern u. a.“ gestellt werden“. Die Stendaler Werksbelegschaft hatte für ihr Produkt die interne Bezeichnung „Armeestuhl“. Die NVA war wohl der größte „gesellschaftliche Bedarfsträger“ des Modells 3101.
Abb.: zerlederter DDR-Stuhl Modell 3101 aus Kunstleder
Überrascht und hocherfreut war man dann dort, als nach der Wiedervereinigung die West-Firma L & C Arnold den Betrieb übernahm und in ihrem Marketing ausgerechnet auf dieses Modell setzte. Es erhielt durch respektvolles und sorgfältiges Redesign nunmehr eine ungeahnte Eleganz – und einen richtigen, obendrein beziehungsvollen Namen: COMEBACK. Unter dem fand der variantenreiche Stuhl großen Absatz, sogar bis in die USA, und ist bis heute zu haben. Ich traf ihn erst kürzlich wieder: im Saal der internationalen Pressekonferenz anlässlich der Eröffnung des neuen Bauhausmuseums in Weimar.
Abb.: Stapelstuhl COMEBACK als Nachfolger des DDR-Stuhl Modell 3101
Das Unternehmen L&C stendal hat eine sehr lange und auch bedeutungsvolle Tradition. Es wurde 1871 von Louis und Carl Arnold in Schorndorf in Baden-Württemberg gegründet und 1889 in Stendal ein Zweigwerk errichtet. Bereits 1920 war das Unternehmen mit 1400 Beschäftigten das größte Stahlrohrwerk Europas. In den 1930er Jahren machte sich das Stendaler Werk einen Namen mit Bauhaus-Möbeln und existierte nach 1945 unter dem Namen Stima weiter, produzierte in der DDR vor allem Stühle, die in der gesamten Republik standen. Seit 1990 werden wieder Bauhaus-Klassiker produziert.
Günter Höhne ist DDR-Zeitzeuge und Autor mehrerer DDR-Design Bücher wie „Penti, Erika und Bebo Sher“, „Wohnungen für alle: Vom Leben im Plattenbau“ und „Das große Lexikon: DDR-Design“. Seine zuletzt im Komet Verlag erschienen und kurzzeitig vergriffenen beiden Bände mit dem Titel DDR Design (Untertitel: Kultur im Heim bzw. Arbeit, Freizeit, Ferien) sind jüngst im Originalformat bei Bild und Heimat, Berlin neu aufgelegt worden. Einige seiner Bücher sind auch vor Ort im Museumsshop des DDR Museum erhältlich.
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