Was bleibt von der DDR?

Die Weltzeituhr

Mit jeder politischen Wende änderte der Alexanderplatz sein Gesicht. Der Alex wurde so zu einer Art Denkmal der Architektur des 20. Jahrhunderts. Im Schnittpunkt der Sichtachsen steht der beliebteste Treffpunkt Ostberlins – die Weltzeituhr.
von Dr. Stefan Wolle (13.12.2017)

Planmäßige Fertigstellung der Weltzeituhr

Im Spätsommer 1969, kurz vor dem 20. Jahrestag der DDR, herrschte hektisches Treiben auf dem Alexanderplatz. Hier sollten am 7. Oktober 1969 die großen Feierlichkeiten stattfinden, doch die Freiflächen zwischen den Neubauten sahen immer noch aus wie eine Baustelle. Selbst die DDR-Presse berichtete am 30. August 1969 über Planverzögerungen, was selten geschah: »Sorgen bereiten noch die letzten tausend Quadratmeter weißer Beton, die aufzubringen sind. Nachträgliche Kabelverlegungen und Mangel an weißem Zement haben den Abschluss dieser Arbeit aufgehalten. Hingegen hat die Aufstellung der Weltzeituhr keine Komplikationen zwischen Ingenieurhochbau und Tiefbau ergeben.«

Doch wenn in der DDR eine Sache funktionierte, so waren es Hauruck-Aktionen. Die Parteiführung mobilisierte Studentenbrigaden und sogar das Militär. Selbst nachts wurde im Scheinwerferlicht gewerkelt. So waren Anfang Oktober alle Kabel unter der Erde, die Gehwegplatten verlegt und die Hochbeete mit Stiefmütterchen bepflanzt. Am 3. Oktober 1969 setzte sich die Weltzeituhr in Bewegung.

Postkarte Alexanderplatz Berlin mit Weltzeituhr und Hotel »Stadt Berlin« 

Alle Zeit der Welt

Das ursprünglich auch »Urania-Säule« genannte Kunstwerk stammt von Erich John, einem Dozenten der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Das zentrale Mittelstück der Säule ist von einem Aluminium-Mantel umkleidet, auf dem eine stilisierte Weltkarte zu sehen ist. Sie ist unterbrochen von einer Skala, die sich innerhalb von 24 Stunden mithilfe eines Trabant-Motors um die eigene Achse dreht. So kann man sehen, wie spät es in den verschiedenen Zeitzonen der Erde ist. Damit keine Irrtümer passieren, sind auf dem unteren Schaft vier Normaluhren angebracht, die auf die Mitteleuropäische, also in Berlin gültige Zeit eingestellt sind. Darüber befindet sich eine Metallkonstruktion, die das Sonnensystem symbolisieren soll. Bald schon wurde die Weltzeituhr zum beliebtesten Treffpunkt in Ostberlin. Hier zählten keine Ausreden, die Uhr sei stehengeblieben oder man hätte den Ort verwechselt. Die Weltzeituhr stand deutlich sichtbar im Blickpunkt aller Sichtachsen des neuen Alex, zwischen der bunten Bauchbinde am Haus des Lehrers und dem Brunnen der Völkerfreundschaft.

Schulbuch »Heimatkunde 3« mit Alexanderplatz auf Cover

Wem die Stunde schlägt

Die DDR-Bevölkerung konnte nun sehen, wie spät es in den Orten der Welt war, in die sie nicht reisen durften. Sie hatten zwar eine amtlich verordnete Weltanschauung, doch die Welt anschauen konnten sie nicht. Dies war einer der Gründe für den wachsenden Unwillen, der sich Ende der achtziger Jahre im Lande breitmachte. Vielleicht ist es nicht nur Zufall, dass die Friedliche Revolution im Oktober 1989 genau um 17 Uhr an der Weltzeituhr begann. Nach der peinlichen Fälschung der Wahlen am 7. Mai 1989 verbreitete sich über Flüsterpropaganda in Berlin die Parole, an jedem siebten des Monats finde um 17 Uhr auf dem Alex eine Demo statt. Der 7. Juni und auch die Monate Juli, August und September verliefen noch glimpflich für die Staatsmacht. Ein Großaufgebot von Polizei und Stasi sammelte die wenigen Protestierenden ein oder drängte sie ab. Doch die Zeitbombe tickte. Am 7. Oktober fand auf dem Alex anlässlich des 40. Jahrestages der DDR das große Volksfest mit Blasmusik, Bierzelt und Würstchenbude statt. Die Stimmung war hochgradig nervös. Überall standen Grüppchen herum. Doch genau um 17 Uhr hallten Sprechchöre über den Alex. Die Menschen riefen: »Demokratie, jetzt oder nie!« oder einfach nur »Freiheit, Freiheit!«. Es war der Anfang vom Ende der Diktatur. Die Weltzeituhr zeigte den Mächtigen im Staat, was die Stunde geschlagen hatte.

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