Die Spaziergänger und Touristen, die vom Alex kommend das Nikolaiviertel links hinter sich gelassen und die Spree überquert haben, sehen an der Fassade des Marstalls zwei große Bronzereliefs mit Revolutionsszenen. Manche schütteln den Kopf angesichts der in Metall gegossenen kommunistischen Symbolik. Kein erklärender Hinweis hilft dem Betrachter und auch die Reiseführer und die im Internet aufrufbaren Apps erwähnen zwar das Gebäude, nicht aber die beiden Kunstwerke. Immerhin erfährt man: Hier befand sich seit dem 17. Jahrhundert ein Gebäude, in dem die Pferde und Kutschen des Schlosses untergebracht waren. Daher der seltsame Name Marstall. 1898 bis 1903 wurde ein neues Gebäude im neobarocken Stil errichtet, das der kaiserlichen Hofhaltung als Wirtschaftsgebäude diente.
Im November 1918 geriet der Marstall in den Brennpunkt turbulenter Ereignisse. In Kiel erhoben sich die Matrosen, die keine Lust hatten, als letztes Aufgebot in einen verlorenen Krieg geschickt zu werden. Revolutionäre Matrosen schwärmten in Gruppen im ganzen Reichsgebiet aus, um sich überall an die Spitze der aufständischen Arbeiter und Soldaten zu setzen. In Berlin nannten sie sich etwas hochtrabend Volksmarinedivision und quartierten sich im Marstall ein, um auch nach der Abdankung des Kaisers am 9. November 1918 dort zu bleiben. In den Weihnachtstagen des Revolutionsjahres griffen konterrevolutionäre Freikorps die Matrosen an. Es kam zu heftigen Kämpfen. Nach dem Scheitern des Januaraufstandes 1919 löste sich der revolutionäre Kampfverband auf. Es blieb die Legende von den roten Matrosen, die in der DDR zum festen Bestandteil der Traditionspflege wurde.
Am 9. November 1988 wurde zum 70. Jahrestag der Ereignisse das Denkmal enthüllt, das „an den heldenhaften Kampf der revolutionären Matrosen und Spartakuskämpfer 1918/19 gegen die Reaktion erinnert“, berichtete damals die „Berliner Zeitung“. „Matrosen der Volksmarine der DDR hielten die Ehrenwache. Abordnungen der Kampfgruppeneinheiten waren angetreten. Ein Orchester der Nationalen Volksarmee spielte das den Opfern der Novemberrevolution gewidmete Arbeiterlied ‚Auf, auf zum Kampf‘. Zwei Matrosen legten unter Trommelwirbel den Kranz an der Gedenktafel nieder. In einer Minute des Gedenkens verharrten die Teilnehmer der Ehrung schweigend an traditionsreicher Stätte.“
Die Bronzetafeln waren eine Schöpfung des Berliner Bildhauers Gerhard Rommel. Das linke Relief trägt neben einem Porträt von Karl Marx die Inschriften "Es lebe die soziale Revolution" und "Es lebe der Frieden der Völker". Die Tafel rechts an der Fassade zeigt Arbeiter und Soldaten, die sich vor Karl Liebknecht gruppieren. Der Text lautet: "Am 9. November 1918 ruft Karl Liebknecht die freie sozialistische Republik aus". Die Figuren sind im Stil des Sozialistischen Realismus gehalten. Doch die Gestaltung tritt vollkommen hinter der Ideologie zurück. Es handelt sich um ein in Metall gegossenes Geschichtsbild. Die papierenen Zeugnisse dieser Art von Geschichtspropaganda der SED verstauben lange schon in den hintersten Winkeln der Antiquariate und Bibliotheken. Die Bronzetafeln aber haben die Zeiten überdauert. Die Gesellschaft ist wohl in der Lage, mit diesen Zeugnissen der Geschichte sachlich umzugehen. Doch irgendwie erklären sollte man es schon, was sich da im Zentrum Berlins dem Auge des Touristen darbietet.