Gesehen

»Nahschuss«

Mit »Nahschuss« gelingt Regisseurin Franziska Stünkel ein erschreckender Einblick in ein wenig bekanntes Thema der DDR-Geschichte: die Todesstrafe. Am 12. August 2021 kommt der Film in die Kinos. Wir haben uns vorab an diesen ernsten Stoff gewagt und stellen den Film vor. von Vanessa Jasmin Lemke (04.08.2021)

Die Aussicht auf eine Professur, eine große, moderne Wohnung im Zentrum Berlins sowie viele weitere Annehmlichkeiten, die die Arbeit im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) mit sich bringt, bewegen den aufstrebenden Wissenschaftler Dr. Franz Walter, bis zu seiner Berufung an die Humboldt-Universität für den Auslandsnachrichtendienst der DDR, die Hauptverwaltung Aufklärung (HV A), zu arbeiten.

Franz, gespielt vom wieder einmal herausragenden Lars Eidinger, schlägt sich gut, zeichnet sich durch seine sorgfältige und fleißige Arbeitsweise aus und genießt das neue Leben gemeinsam mit seiner Freundin Corina (Luise Heyer), die er schließlich heiratet – und das auch aus beruflichen Gründen. Schon bald freundet sich das Paar mit Franz' Vorgesetzem Dirk Hartmann (Devid Striesow) an. Die Grenzen zwischen Privatem und Beruflichem verschwimmen.

Zusammen reisen Franz und Dirk nach Hamburg, wo sie einen geflüchteten Fußballspieler beschatten, sein neues Umfeld zur Bespitzelung erpressen und mit weiteren Druckmitteln versuchen, ihn zur Rückreise in die DDR zu bewegen, in der noch seine Familie lebt. Auf diese Weise sollen sie den Schaden für den Ruf der DDR verringern. Am Abend versacken die beiden in den berühmt berüchtigten Hamburger Bars.

Im Laufe der Zeit muss Franz auf Anweisung seines Vorgesetzten und anderen HV A-Mitarbeitern zu immer drastischeren Mitteln greifen, die ihn phsychisch sowie körperlich belasten und zermürben. Zunehmed wird auch er von seinem eigenen beruflichen Umweld bedroht. Seine Hoffnung auf die Professur ist ihm genommen worden. Er betäubt seine Ängste und sein Gewissen mit Alkohol, während die Beziehung zu seiner Frau in die Brüche zu gehen scheint – doch am Ende ist sie es, die ihn in seinem Plan, das MfS und auch die DDR zu verlassen, unterstützt. 

Sie fliegen schließlich auf. Die geheimen Dokumente, die Franz aus seinem Büro entwendete und in der Wohnung versteckte, werden gefunden. Auf der Suche nach einer Wahrheit, die wie ein Märchen nur in den Akten der Staatssicherheit besteht, werden die Eheleute gegeneinander ausgespielt. Als dies nicht gelingt, kommt es zum Gerichtsprozess, dessen Ausgang schon beschlossene Sache zu sein scheint.

Hintergrund des Films »Nahschuss«

Der Film ist von der Biografie des Finanzökonoms und Hauptmanns des MfS, Dr. Werner Teske, inspiriert, der im Juni 1981 der letzte Mensch auf deutschem Boden war, der zum Tode verurteilt wurde. Seit 1968 wurde diese in der DDR mit einem unerwarteten Schuss in den Hinterkopf ausgeführt, nachdem die Hinrichtung mit der Guillotine als mechanisch zu unsicher eingestuft worden war.

Insgesamt wurden bis zur Abschaffung der Todesstrafe durch den Staatsrat am 17. Juli 1987 in der DDR wahrscheinlich 164 Menschen aufgrund von Gerichtsurteilen hingerichtet. Während in den 1950er- und 60er-Jahren hauptsächlich nationalsozialistische Kriegsverbrecher*innen, Gegner*innen der neuen Gesellschaftsordnung sowie Mörder und Sexualverbrecher verurteilt wurden, waren es ab den 70er-Jahren hauptsächlich in Ungnade gefallene Staatsbedienstete. 

Mit zunehmender internationaler Relevanz der Menscherechte und Ablehnung der Todesstrafe in den europäischen Ländern schwieg die DDR-Regierung ab Mitte der 70er-Jahre über den Vollzug der Todesstrafe. Als offizielle Todesursache der Opfer wurde meistens »Herzversagen« angegeben – so auch im Fall Werner Teskes.

Filmszene Hochzeit Lars Eidinger und Luise Heyer

Franz (Lars Eidinger) und Corina (Luise Heyer) feiern Hochzeit ©alamodefilm

Gelungene Darstellung, sehr gutes Cast

Auch wenn das Thema noch so erschreckend ist, ist Regisseurin Franziska Stünkel die Umsetzung dieses schweren Inhalts für das Kino beeindruckend geglückt, sodass sogar die Liebesgeschichte zwischen Franz und Corina nicht deplatziert wirkt, sondern sinnvoll ergänzend in die Handlung eingebaut wurde. Wegen der prominenten Besetzung mit Eidinger, Heyer und Striesow als Hauptpersonen sowie den weiteren Darsteller*innen ist ein Cast zusammengestellt worden, das aufgrund seiner endrucksvollen und sensiblen schauspielerischen Leistung der Handlung nicht die Show stiehlt. Diese entwicklet sich über die knapp zwei Stunden leise (auch DANK fehlender Spezialeffekte) bis zum Finale.

Als Kritikpunkt muss angemerkt werden, dass manche inhaltlichen Entwicklungen zu schnell abgehandelt wurden, was natürlich dem Medium geschuldet ist, soll es doch einem interessierten, breiten Kinopublikum diese Geschichte zugänglich machen. Die gesamte Komplexität eines historischen Sachverhalts kann natürlich nicht dargestellt werden. Dennoch wäre gerade ein tieferer Einblick beispielsweise in die Beziehung zwischen Dirk und Franz spannend gewesen.  

Der Spielfilm »Nahschuss«, angelehnt an reale Personen und Ereignisse, regt zur weiteren Auseinandersetzung mit einem nicht prominenten Thema zur DDR-Geschichte an. Passend dazu erschien im Juni 2021 im Ch. Links Verlag das Sachbuch »Der Nahschuss. Leben und Hinrichtung des Stasi-Offiziers Werner Teske« des Autors und Journalisten Gunter Lange, das auf über 250 Seiten das Leben des historischen Vorbilds, Dr. Werner Teske, portraitiert.

Lars Eidinger und Luise Heyer

Corina (Luise Heyer) und Franz (Lars Eidinger) ©alamodefilm

Lars Eidinger

Lars Eidinger als Franz Walter ©alamodefilm

Luise Heyer

Luise Heyer als Corina ©alamodefilm

Devid Striesow

Devid Striesow als Dirk Hartmann ©alamodefilm

Lars Eidinger

Lars Eidinger spielt den Wissenschaftler Franz Walter, der bis zum Antritt seiner Professur für die HV A arbeiten soll. ©alamodefilm

Mehr zum Thema