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Der schwierige gesamtdeutsche Umgang mit der DDR-Geschichte

Christoph Kleßmann befasst sich in seinem Aufsatz mit der Aufarbeitung von DDR-Geschichte. Er beschreibt, welche Probleme und Herausforderungen sich den Historikern stellen, die die Geschichte des untergegangenen deutschen Staates behandeln.
(12.05.2016)

Christoph Kleßmann: Der schwierige gesamtdeutsche Umgang mit der DDR-Geschichte, in: http://www.bpb.de/apuz/26110/der-schwierige-gesamtdeutsche-umgang-mit-der-ddr-geschichte (abgerufen am 12.05.2016), 2002.

Christoph Kleßmann promovierte 1969 an der Ruhr-Universität Bochum zum Thema NS-Kulturpolitik und polnische Widerstandsbewegung im Generalgouvernement. Die Publikation wurde zum Standardwerk, 1976 erfolgte seine Habilitation. Von 1976 bis 1992 war er Professor für Zeitgeschichte an der Universität Bielefeld, danach lehrte er Zeitgeschichte an der Universität Potsdam. Von 1996 bis 2004 war Kleßmann Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung.

Seine Forschungsschwerpunkte sind die deutsche und polnische Geschichte des 20. Jahrhunderts, insbesondere der NS-Zeit, der Bundesrepublik und der DDR. Der Autor gilt als einer der besten Kenner der Beziehungsgeschichte der beiden deutschen Staaten.

Christoph Kleßmann befasst sich in seinem Aufsatz mit der Aufarbeitung von DDR-Geschichte. Er beschreibt, welche Probleme und Herausforderungen sich den Historikern stellen, die die Geschichte des untergegangenen deutschen Staates behandeln. Kleßmann geht dabei jedoch davon aus, dass der Höhepunkt der Befassung mit der DDR zum Zeitpunkt des Aufsatzes 2002 überschritten wurde, ein deutlicher Abschwung, wenn auch keine Rezession der DDR-Aufarbeitung, also bereits eingetreten sei.

Nach der Wiedervereinigung entstand eine fast unzählbare Menge an Publikationen zur DDR-Geschichte und insbesondere auch die beiden Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages dokumentierten und erforschten die Zeit der Zweistaatlichkeit umfassend. Eine Verzögerung der politischen und wissenschaftlichen Aufarbeitung wie nach der NS-Diktatur sollte sich nicht wiederholen. Doch die Befindlichkeiten der ostdeutschen Bevölkerung wurden dabei weitgehend außer Acht gelassen. Für viele DDR-Bürger blieb das Gefühl, als würde ihre Geschichte durch die westdeutschen Sieger beurteilt und darüber gerichtet, auch wenn nach Kleßmann, diese Einschätzung unbegründet sei. Denn gerade die Enquete-Kommissionen entstanden auch durch den Anstoß von ostdeutschen Bürgerrechtlern und Bürgerrechtlerinnen, die außerdem die Schwerpunkte und Diskussionen mitbestimmt hatten.

Auch 2002 ist weiterhin ein Interesse an der DDR-Geschichte vorhanden und die Aufarbeitung unterliegt, auch beeinflusst von tagesaktuellen Ereignissen, einer schwankenden Konjunktur. Doch bestimmte Sachverhalte sorgen für eine kontinuierliche Beschäftigung mit der DDR: die Nachwirkungen der SED-Diktatur beeinflussen maßgeblich unsere heutige Gegenwart und Zeitgeschichte ist selbstverständlich auch prädestiniert dafür politisch instrumentalisiert zu werden.

Die Nachwirkungen gehen jedoch nicht nur die ehemaligen DDR-Bürger an, zur Debatte steht nicht ausschließlich eine Täter/Opfer-Geschichte, wie Kleßmann es benennt, sondern eine gesamtdeutsche Nachkriegsgeschichte, die Gemeinsamkeiten und Wechselwirkungen sucht. Bisher wurde in beiden deutschen Staaten in der Geschichts- und Politikwissenschaft größeres Augenmerk auf die Unterschiede und differenten Entwicklungen in den deutschen Staaten gelegt. Trotz der Thematisierung der deutschen Nation und Identität in Westdeutschland in den 80er Jahren beweist die Geschichte und Demoskopie, dass man sich im eigenen Staat eingerichtet hatte. Mehr noch in der Bundesrepublik, die nach Kleßmann problemlos auch ohne die DDR bestehen konnte, während die DDR die Bundesrepublik stets als Referenzwert nutzte. Dennoch gibt er zu bedenken, dass die Situation des Kalten Krieges auf beiden Seiten das Selbstverständnis und die Handlungsweisen prägte.

Kleßmann fordert in diesem Sinne das gleiche wie Martin Broszat seinerzeit für den Nationalsozialismus: Historisierung. „Kritisches und verstehendes Vermögen“ sind hierbei zu verbinden. Dies bedeutet, dass ein Zugang von beiden Seiten erfolgen muss. Zum einen müssen die verbrecherischen Dimensionen des SED-Regimes herausgearbeitet, zum anderen aber auch die „alltägliche Normalität“ betrachtet werden. Dabei sind Debatten über Totalitarismus notwendig um ein „schiefe(s) DDR-Bild“ teilweise zurechtzurücken, so der Autor.

Dennoch warnt er vor plakativen Begrifflichkeiten, die die DDR delegitimieren sollen, wie zum Beispiel „Unrechtsstaat“, denn diese entsprechen nicht der Komplexität moderner Systeme und ihre Eindimensionalität fördere außerdem nicht ihre Akzeptanz, da sie weder das „richtige Leben im falschen System“ noch die verschiedenen eigen-sinnigen oder opportunistischen Arrangements mit dem Staat mitdenken. Eine Sozial- und Kulturgeschichte sollte nach Kleßmann diese spannenden Themen nicht aussparen, die gleichzeitig eine differenzierte und akzeptierte Aufarbeitung der DDR ermöglichen, sowie außerdem den sozialistischen Staat stets im Spannungsfeld der deutschen Tradition, der westdeutschen Anziehungskraft und sozialistischer Blockzugehörigkeit betrachten.

Auch wenn Kleßmanns Aufsatz bereits über zehn Jahre zurückliegt, so zeigt sich bis heute durch kritische Debatten und Phänomene wie Ostalgie, dass das Thema ein aktuelles ist. In der täglichen museumspädagogischen und wissenschaftlichen Arbeit des DDR Museum spielen diese Herausforderungen eine wichtige Rolle.

Bild: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0116-014


 

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