Bislang habe ich euch eher einfache Spiele vorgestellt, solche, die man mal schnell beim Museumsbesuch oder zwischendrin auf dem Handy spielen kann. Heute habe ich eine echte Herausforderung für alle Spielefans parat, für die ein Spiel auch mal den ganzen Abend dauern darf. “Wir sind das Volk” ist ein strategisches Brettspiel für zwei Personen von Richard Sivel und Peer Sylvester, bei dem die Geschichte des geteilten Deutschlands nachgespielt.
Deutschland gegen Deutschland, Ost gegen West, DDR gegen Bundesrepublik. Genau zwei Personen treten gegeneinander an und spielen dabei jeweils eine Seite des geteilten Landes. Dabei müssen sie geschickt die Infrastruktur ausbauen, um die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Es können Kraftwerke errichtet und Leitungen gelegt werden. Wer Bezirke vernachlässigt riskiert Aufstände und wer gar zu viele davon zulässt verliert das Spiel. Symbolisiert werden diese durch Marker auf denen jeweils ein Wort der Losung “Wir - sind - das - Volk” im Osten oder “Alle - Macht - dem - Volke” im Westen steht, denn auch hier muckt die Bevölkerung auf. Die einzelnen Aktionen werden initiiert durch das ausspielen von Karten. Hierbei hat man zwei Möglichkeiten: Entweder man nutzt die Aktionspunkte einer Karte, um Standardaktionen auszuführen oder man nutzt das historische Ereignis, das auf der Karte dargestellt ist. Daran knüpfen sich individuelle Aktionen an, die positiv oder negativ für den Osten oder den Westen sein können. Jede Seite darf nur solche historischen Ereignisse auslösen, die ihrer eigenen Geschichte zugeordnet sind, man kann diese aber auch einfach unbeachtet lassen. So hat der Spieler auf Ostseite die Möglichkeit die Mauer zu errichten, die Stasi zu gründen oder aber keines von beidem zu machen.
Es macht Spaß sich vorzustellen eine DDR ohne die Stasi aufzubauen oder theoretisch durchzuspielen, wie man die Bedürfnisse der Bevölkerung so befriedigt hätte, damit diese nicht einfach aus dem Land geflohen wäre, denn auch das passiert in “Wir sind das Volk”. Hier verschmelzen Spielmechanik und Inhalt ganz wunderbar miteinander. Das mag der Vielspieler bereits vom Spiel “Gleichgewicht des Schreckens” kennen, dem Spiel schlechthin zum Thema des Kalten Krieges, passt sich aber auch hier perfekt ein. Negativ zu bewerten, bei beiden Spielen, ist die Anleitung. Hier muss sich der Spieler durch ein Paragraphen-Werk hindurchmühen, dass die erste Partie zu einer echten Herausforderung macht. Die Anleitung ist vollständig und lässt nur wenige Fragen offen, macht aber nicht von vornherein klar, wie man das Spiel gewinnt oder verliert. Das bedeutet man muss sich erst einmal komplett hindurch lesen, um dann am Ende Punkte vom Anfang der Anleitung erst verstehen zu können. Das hätte man lösen können mit einer womöglichlängeren Anleitung, die dem Spieler aber mehr Luft ließe und klarer strukturiert in grundlegende Spielregeln, Sonderfälle und Beispiele, womöglich sogar mit einer Losspielanleitung, die den Gegenüber nicht ewig warten lässt, bis es endlich losgehen kann.
Sobald man das Spiel beherrscht ist der Spielablauf flüssig und verschiedene Taktiken lassen sich ausprobieren, über die mühsame Anfangsphase lohnt es sich also hinweg zu kommen. Durch die realen historischen Ereignisse bedingt, hat der Osten geringere Chancen zu gewinnen, es ist jedoch nicht unmöglich, trübt jedoch des Spielerlebnis. Gerade bei einem zwei Personenspiel soll keiner am Ende sagen können: “Du hattest es je sowieso leichter, als ich”, denn dazu legt es das Spiel zu sehr auf ein Gegeneinanderspielen an.
Die Gestaltung des Covers und der Illustrationen sind wunderschön, die Gestaltung von spielmechanischen Elementen ist etwas zu zweckmäßig gehalten: einfache Illustrationen, schlicht koloriert, das Spielmaterial besteht aus Pappplättchen. Das stört den Vielspieler nicht, schreckt jedoch den Anfänger, der sich erstmals an ein komplexes Spiel wagt, ab. Als konträre Farben für Ost und West wurden jeweils stechendes gelb und rot gewählt - das ist zweckmäßig, aber gedeckte koplimentäre Farben wären hier ansprechender gewesen.
Fazit: Für ungefähr absolut faire 29 Euro erhält man mit “Wir sind das Volk” ein anspruchsvolles Strategiespiel mit einem bekannten, aber gelungenen Kartenmechanismus, das eine große Losspielhürde birgt, aber danach mit einem inhaltich spannenden Spielverlauf aufwartet. Auch wenn das Spiel “unperfekt” balanciert wurde (dies war sicherlich die Absicht der Autoren), bietet es viele Strategiemöglichkeiten und hat somit einen gute Wiederspielbarkeit. Dem Unentschlossenen sei nun noch gesagt, dass es sich absolut lohnt das Spiel auszuprobieren!
Spieleranzahl: 2
Spieldauer: 150 Minuten
Verlag: Histogame