Ruth Hoffmann zu Gast im DDR Museum: Das Buch „Stasi-Kinder“ geht unter die Haut

Es war gestern eine der längeren Veranstaltungen, auf der viel diskutiert wurde. Das lag nicht nur an dem vorgestellten, sehr interessanten Buch von Frau Hoffmann, sondern auch an ihrer über sechsjährigen spannenden Arbeit an diesem Projekt, von der sie ebenfalls berichtete.
von Melanie Alperstaedt (05.09.2012)

Es war gestern eine der längeren Veranstaltungen, auf der viel diskutiert wurde. Das lag nicht nur an dem vorgestellten, sehr interessanten Buch von Frau Hoffmann, sondern auch an ihrer über sechsjährigen spannenden Arbeit an diesem Projekt, von der sie ebenfalls berichtete.


Frau Hoffmann führte über 20 Interviews mit Menschen, deren Eltern zu DDR-Zeiten hauptamtlich für das Ministerium für Staatssicherheit tätig waren. Aus dieser Vielzahl wählte sie die Geschichten von 13 Kindern aus, von denen einige prominent sind und andere anonymisiert wurden. Zwischen den Schilderungen der authentischen Lebensgeschichten widmet sich Frau Hoffmann dem Ministerium für Staatssicherheit und erklärt leicht verständlich und prägnant dessen Strukturen und Funktionsweisen. All das erscheint beim Lesen rund und stimmig, denn im richtigen Moment bekommt man wichtiges Hintergrundwissen, welches einen das Geschilderte noch besser verstehen lässt. Denn die geschilderten Geschichten zeigen, wie der Familienalltag durch die Tätigkeit der Eltern für das MfS beeinflusst wurde. Kontrolle, Misstrauen, Angst, diffuses Unwissen und unsichere Ahnung - all das findet der Leser in den Schilderungen und erfährt, wie auch noch heute die Betroffenen mit dieser Vergangenheit leben, sie verarbeiten und sich mit der Beziehung zu den Eltern auseinandersetzen.

Was meinen Sie: Wenn Sie ein Kind von hauptamtlichen Stasi-Mitarbeitern wären, würden Sie damit an die Öffentlichkeit gehen oder freimütig darüber erzählen? Ein wichtiger Verdienst des Buches ist es meiner Meinung nach, ein tabuisiertes und auch intimes Thema sensibel und wissenschaftlich fundiert zugänglich zu machen. Man liest zwar Geschichten ÜBER Menschen, aber man ist eher BEI den Betroffenen, man fühlt und fürchtet sich mit ihnen. Der Autorin gelingt es, den richtigen Ton zu treffen ohne Betroffenheit bewusst zu provozieren. Es sind teils einzelne Sätze, wiederholte Äußerungen, die einem ins Mark gehen. Ein Satz, der mir seit gestern nicht mehr aus dem Kopf geht, stammt von der Tochter eines „Offiziers im besonderen Einsatz". Sie sagt über das Familienleben in ihrer Kindheit schlicht „Da war nichts" (S. 253).

Frau Hoffmann hat es geschafft, den Lesern Zugang zu einem Thema zu ermöglichen, mit dem man nur selten oder unter großen Schwierigkeiten in Kontakt kommt. Wem hätte ich bei Interesse Fragen stellen sollen? Die Kapitel über die Funktionsweisen der Staatssicherheit fügen sich rund in den Lesefluss ein, das gefällt mir persönlich sehr gut. Sicherlich sind die Geschichten schon interessant genug, aber mir gefallen die Hintergrundinformationen als Ergänzung. Sie unterstützen das Verständnis und machen das Buch so auch für weniger informierte Leser empfehlenswert. Mangelndes Wissen über das MfS sollte also niemanden abschrecken, man erfährt in „Stasi-Kinder" alles, was man zur Einordnung der Geschichten wissen muss.

Die Diskussion dauerte lange und war, im Vergleich zu anderen Veranstaltungen, persönlicher. Viele aus dem Publikum erzählten von ihren eigenen Erfahrungen mit der Staatssicherheit und stellten nicht nur der Autorin, sondern auch sich gegenseitig Fragen. Nach der Diskussion ergab sich dann noch die Möglichkeit für einige persönliche Gespräche, was auch für mich eine Premiere war. Viele Anwesende erlaubten einen Blick in das persönliche Erleben und in ihre Erfahrungen, und solche Momente sind selten. Daher bin ich froh, dass ich diese Veranstaltung betreuen durfte und freue mich auf weitere Publikationen von Ruth Hoffmann.

P.S.: Zu meinem großen Ärger habe ich es verpasst, das Büro-Exemplar des vorgestellten Buches signieren zu lassen! Das hat man nun von guten Gesprächen... ;)

Alle wichtigen Informationen zu dem Buch „Stasi-Kinder. Aufwachsen im Überwachungsstaat" und zur Journalistin Ruth Hoffmann finden Sie auf der Internetseite www.ruth-hoffmann.de!

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