Heute Abend hatte das DDR Museum einen ganz besonderen Gast. Der Leadsänger von City, Toni Krahl, gab sich mit seinem Buch die Ehre und brachte gleich noch den ehemaligen AMIGA-Chef, Jörg Stempel mit aufs Podium. Krahl stand jenem Rede und Antwort und las einige Seiten aus seinem Buch „Rocklegenden“ vor.
Zuerst nahm uns Stempel mit auf die Reise in Toni Krahls Vergangenheit. Als Kind verbrachte der Funktionärssohn einige Zeit in einem Kinderheim in der DDR, da der Vater als Korrespondent eine Stelle in England antrat. Als die Eltern nach Moskau übersiedelten, besuchte Krahl dort die Schule, was, wie er selbst sagt, bereits als Qualifikation für den späteren Besuch der Erweiterten Oberschule (EOS) in der DDR ausreichte.
Zurück in Berlin lernte der geborene Entertainer in seinem schulischen Umfeld schon einige bedeutende Persönlichkeiten kennen, wie etwa die Havemann-Brüder oder Henry Hübchen. Doch ansonsten beschreibt sich Krahl wie ein normaler Jugendlicher, der die gleichen Kämpfe mit den Eltern ausfocht wie andere Jugendliche in Ost und West. Seine beginnende Rebellion führt er selbst darauf zurück, dass es zum Erwachsenwerden dazugehörte, sich von der älteren Generation abheben zu wollen - in Werten und Aussehen.
Danach spürte Stempel nach, was den Sänger zur Musik brachte. Für alle überraschend waren es wohl nicht die Frauen. So räumte Krahl ein, dass zwar die Chancen durchaus mit dem Besitz einer Gitarre wuchsen, jedoch selbst der Klassenstreber seinerzeit eine Freundin hatte. Über Umwege kam er letztlich zur Musik. In der Schule spielte er in diversen Schulbands, als Fan der Beatles könnte er sich auch durchaus vorstellen, den Idolen nachzueifern. Doch noch bevor er die Schule abschließen konnte, wurde Krahl aufgrund einer „staatsfeindlichen Aktion“ zu einer Haftstrafe verurteilt. Der gelernte Schlosser hatte nach seiner Entlassung keine großen Karrierechancen. Das Schlosserhandwerk lag ihm nicht, ein Studium war im verwehrt. Wenigstens sein Abitur konnte er nachholen, da der Direktor einer Abendschule im Prenzlauer Berg beide Augen zudrückte und sich der Parteianweisung widersetzte. Die Musik sah Toni Krahl als Chance für die berufliche Zukunft.
Frank Pfeifer war der erste Sänger von City. Als begeisterter Stones-Anhänger, der Mick Jagger scheinbar perfekt imitierte, war die musikalische Ausrichtung der Band vorgegeben. Texten, deutsche Songs und ein von den Stones unabhängiger Stil waren nicht Teil seines Planes, so Krahl. Letztlich verließ Pfeifer die Band. Sein Nachfolger nutzte eine Chance zur Flucht in den Westen und so wurde letztlich Krahl zum Frontmann von City - allerdings nur auf Probe. Glücklicherweise konnte uns der Sänger verkünden, dass er 2016 endlich von den Bandkollegen die Festeinstellung mitgeteilt bekam!
Doch nun zum Aufstieg von City zu Rocklegenden. Ein Demotape mit dem Hit „Am Fenster“ wurde mit ihm als Sänger aufgenommen und zur richtigen Zeit im Radio gespielt. Ein Interessent aus dem Westen hörte es auf der Durchreise und wandte sich sofort an die Plattenfirma AMIGA, die sich schwer mit dem „nicht ganz zeitgemäßen“ Song tat. Nun wollte der Westen eine vollständige LP, AMIGA stieg ein und forderte quasi über Nacht die Herstellung einer ganzen Platte. Der Durchbruch für City! In Ermangelung einer ausreichenden Anzahl von Songs entstand eine lange Version von „Am Fenster“, die eine komplette Plattenseite füllte! Der Song wurde zum Hit, die in ihm gespielte Geige zum Alleinstellungsmerkmal der Band bis in die 80er. Dann jedoch stieg der Geiger aus. Ein anderes Markenzeichen wurde gesucht und in der Glatze gefunden! Fragt man Krahl, so ist für ihn das Album „Casablanca“ von 1987 das gelungenste. Und es enthält auch durchaus kritische Liedtexte, die in der Partei nicht ohne Argwohn gesehen wurden. Beim Konzert in Weissensee, am Tag nach Bruce Springsteen, kam der Funktionär Hartmut König, kurz darauf Kulturminister, auf Krahl zu und warnte ihn, „Halb und Halb“ nicht zu spielen mit dem Hinweis darauf, dass „Egon“ (Krenz) im Publikum säße. Toni Krahl hält sich an die Vorgabe, erklärt jedoch seinem Publikum, dass der Song aufgrund eines einzelnen Herrn nicht gespielt würde und zitiert daraufhin den gesamten Text vor seinen Fans. Seither wurde das Lied nie wieder gespielt, jedoch tausende Male rezitiert....
Diese und viele weitere Anekdoten zeichneten dem Publikum heute Abend das turbulente und spannende Leben der Rocklegende nach. Mit Witz und Charme plauderte der Rockstar aus dem Nähkästchen oder besser dem Backstagebereich. Vielen Dank an die beiden Ost-Musikexperten für einen faszinierenden Abend, der mit einer Autogrammstunde endete. Wir würden uns freuen, das nächste Buch oder den nächsten Songtext in ähnlicher Weise miteinander zu teilen!