DDR-Geschichte

„Mit Fantasie gegen Stasi und Nasi“ Die Aktionskundgebung vom 15. Januar 1990 in Berlin-Lichtenberg

von Jörn Kleinhardt (15.01.2015)

Der Gebäudekomplex in der Berliner Rusche- und Normannenstraße war knapp 40 Jahre die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit. Über die Jahrzehnte wurde das Areal stark erweitert und umfasste Ende der 1980er Jahre 29 Häuser und 11 große Innenhöfe. Knapp 7000 MfS Mitarbeiter arbeiteten zu dieser Zeit  auf dem weitläufigen Gelände.

Nur acht Tage nach der Grenzöffnung am 9. November erfolgte die Umbenennung des „Ministeriums für Staatssicherheit“ in „Amt für Nationale Sicherheit“, auf Beschluss des neu gebildeten Ministerrats unter Vorsitz von Hans Modrow. Einhergehend mit der Namensänderung sollte der Geheimdienst stark verkleinert werden. Dazu sollte es allerdings nicht mehr kommen. Knapp zwei Wochen später, am 4. Dezember wurde die Erfurter Bezirksverwaltung des AfNS von DDR Bürgern besetzt, nachdem bekannt wurde, dass die Mitarbeiter dort massiv Akten vernichteten. Die Dienststellen in Rostock und Leipzig wurden am gleichen Tag ebenfalls besetzt um die anhaltende Vernichtung von Akten zu stoppen. Infolge der Besetzung diverser Dienststellen beschloss der Ministerrat am 13. Januar 1990, zukünftig auf die Neubildung und Umstrukturierung des Geheimdienstes zu verzichten. Lange Zeit sah es danach aus, dass die Zentrale in der Berliner Normannenstraße von Bürgerprotesten und Besetzung wie in anderen Bezirksstädten verschont bliebe.

Das Neue Forum Berlin rief Anfang 1990 zu einer Aktionskundgebung am 15. Januar vor dem Stasikomplex in Lichtenberg auf. Unter dem Motto „Mit Fantasie gegen Stasi und Nasi“ und „Mit Fantasie und ohne Gewalt“ wurden im Vorfeld Flugblätter verteilt. Die Teilnehmer wurden dazu aufgerufen Farbe, Spraydosen, Mauersteine und Kalk mitzubringen. Ziel war es die Stasi symbolisch einzumauern und so die Auflösung des Repressionsapparates  voranzutreiben. Eines dieser Flugblätter aus dem Jahr 1990 ist seit drei Jahren Teil unserer Objektsammlung.

Zudem möchte ich Ihnen ein Foto vorstellen, dass am Abend des 15. Januars 1990 entstanden ist. Zu sehen ist der symbolische Verschluss des Eingangs in der Ruschestraße. Im Vordergrund sind Mauersteine aufgetürmt, der Mann dahinter hat eine Maurerkelle in der Hand. Im Hintergrund sind zahlreiche Demonstranten unterschiedlichen Alters zu erkennen. Aufgenommen wurde das Bild von Ines Buschmann.

Im Laufe des Abends füllte sich die Straße vor dem Gebäudekomplex, mehrere tausend Bürger folgten dem Aufruf des Neuen Forums sich dort einzufinden. Die Stimmung vor Ort wurde zunehmend aggressiver und erste Stimmen nach Öffnung des Komplexes wurden laut. Kurze Zeit später öffneten sich die Tore und etwa 2.000 Demonstranten strömten auf das Gelände. Die meisten Leute bewegten sich in Richtung des Versorgungtraktes und ließen ihrem Unmut dort freien Lauf. Wer genau die Tore für die Demonstranten geöffnet hat, ist bis heute nicht eindeutig geklärt.

 Eine Woche nach dem historischen Abend sprach sich der Runde Tisch für die Einrichtung einer "Gedenk- und Forschungsstelle zum DDR-Stalinismus" in der Normannenstraße aus. Das Amt für Nationale Sicherheit wurde bis Ende März aufgelöst, eine Nachfolgeinstitution wurde aufgrund der vergangenen Ereignisse und der bevorstehenden Wiedervereinigung nicht mehr gebildet.

Haben Sie noch Erinnerungsstücke aus den Wendetagen? Waren Sie vielleicht Teil der Demonstranten am 15. Januar 1990 oder bei einer der Besetzungen in den anderen Bezirksverwaltungen dabei? Dann melden Sie sich doch bitte bei mir unter der Mailadresse joern.kleinhardt@ddr-museum.de . Ich würde mich über Objekte zu Thema und Ihre Erinnerungen sehr freuen.

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