Wer den Raum betritt, soll sich in die 80er-Jahre der DDR zurückversetzt fühlen. Im ersten Moment wirkt er wie ein ganz normales Zimmer, das in diesem Moment von den Kindern nicht genutzt wird, weil sie vielleicht draußen spielen. An der Wand hängt ein Poster, am Bett sind Aufkleber der Fußballidole, die Decken und Kissen sind nicht akkurat gemacht.
Wie in der gesamten Ausstellung des DDR Museum, sind die Gäste dazu eingeladen, Texte, Objekte und Installationen in Schränken und Schubladen zu entdecken, um mehr zu erfahren. In den unterschiedlichen Themenbereichen werden viele Kinder- und Jugendthemen in ihrer Gegensätzlichkeit dargestellt. Von früh an griff der Staat nach den »Herzen und Hirnen« der Jüngsten – in der Tat war das eine oft benutzte Ausdrucksweise. Die Kinder und Jugendlichen sollten gehegt und gepflegt werden wie Pflanzen in einer Plantage, damit sie eines Tages groß und kräftig werden und reiche Frucht tragen. Zu dieser Gärtnerideologie gehörte natürlich auch der Anspruch, das Unkraut zu jäten.
Dabei waren die vermittelten Ideale nicht automatisch falsch. In den Liedern, den Schulbüchern oder Kinderzeitschriften wurden stets die Völkerfreundschaft und der Frieden propagiert. Die Friedenstaube – ein biblisches Symbol – war in weit höherem Maße präsent als die sozialistische Symbolik im engeren Sinne. Auch allgemeine menschliche Tugenden wie Fleiß, Ehrlichkeit oder Achtung vor den Eltern finden sich in den Geboten der Jungen Pioniere sowie im Gelöbnis zur Jugendweihe.
Irgendwann kam der Zusammenstoß zwischen Ideal und Wirklichkeit. Dann galt: »Sag mir, wo du stehst!«, wie es in dem bekannten Lied von Harmut König heißt. Anpassung oder trotziges Beiseitestehen, Heuchelei oder Ehrlichkeit, Jugendweihe oder Konfirmation, Eintritt in die FDJ oder Verzicht auf die gerade Bahn zur Erweiterten Oberschule und somit zum Abitur. Besucher*innen sollen dies anhand der Inhalte der Schubladen in der Schrankwand nachvollziehen können. Natürlich war das Leben in der DDR komplizierter, als es in einer Ausstellung darzustellen ist. Der Weg war schon in der Kindheit gepflastert mit Kompromissen oder Momenten kluger Zurückhaltung. Die interaktiven Inszenierungen sind also nicht einseitig auf das Verständnis der Vergangenheit gerichtet, sondern sie sollen auch dazu dienen, heutige Jugendliche zum Nachdenken über Freiheit, Demokratie und Diktatur anzuregen.
Denkt man an ein Kinderzimmer, so hat man automatisch Spielzeug im Sinn, das natürlich auch in dem nachgestellten Raum zu finden ist. So gibt es beispielsweise den berühmten Diaprojektor »Pouva Magica« mitsamt dem Rollfilm »Der kleine Muck« zu bestaunen. Außerdem befinden sich neben einem Puppentheater mit vielen Figuren des Kinderfernsehens der DDR zahlreiche Kinderbücher.
Zu den Highlights gehört der vom VEB Mikroelektronik Erfurt entwickelte Schachcomputer »SC2«. Bei diesem Gerät wurde versucht, die Entwicklungs- und Herstellungskosten möglichst niedrig zu halten. Zu diesem Zweck wurde der Computer im Gegensatz zu hochwertigeren Modellen mit einem Gehäuse aus Polyurethan ausgestattet.
Das wohl aufwendigste Objekt in diesem Raum ist das zusammengebaute Modell des Raumschiffs »Wostok 1«. Da mit Sigmund Jähn ein DDR-Bürger als erster Deutscher ins All flog, war die Begeisterung um den Kosmonauten sowie die Raumfahrt in dem kleinen Land groß. Das Modell wurde eigens aus einem heutzutage seltenen und natürlich originalen Modellbausatz aus dem Jahr 1982 zusammengesetzt. Damals kostete der Bausatz vom VEB Plasticart Zschopau faire 13,50 Mark. Sicherlich sind die heutigen Sammlerpreise für ein unberührtes Modell um ein Vielfaches höher.
Außer dem futuristischen Raumschiffmodell befindet sich noch eine Auswahl von Spielzeug mit pädagogischem Anspruch in dem Kinderzimmer. Neben Optik- und Chemiebaukästen gibt es in einer Schublade unter dem Bett das »FORMO«- Bausteinsystem zu entdecken. Die aus Gotha stammenden Plastikbausteine waren sozusagen das Pendant zu dem dänischen und heute weitverbreiteten »LEGO«-Bausteinsystem.
Neben den typischen Spielsachen aus ostdeutscher Produktion befinden sich einige »Exoten« in dem Kinderzimmer. Dazu zählt beispielsweise ein Poster von Modern Talking aus der westdeutschen Zeitschrift »BRAVO« oder ein Diorama, welches den Auftritt von Bruce Springsteen in Berlin-Weißensee am 19. Juli 1988 zeigt. Zu diesem heutzutage als legendär geltenden Konzert sind damals hunderttausende Rockfans aus der gesamten DDR gereist.
Zusätzlich zu dem sorgfältig ausgewählten Spielzeug befinden sich zahlreiche Statistiken sowie begleitende Erklärungen in diesem Ausstellungraum.
Auch im Kinder- und Jugendzimmer fehlen natürlich nicht die für das DDR Museum typischen und einzigartigen digitalen Installationen. Auf einem 84 Zoll großen Bildschirm läuft eine in 4K aufgelöste Simulation einer Plattenbaulandschaft. Dieser virtuelle Ausblick aus dem »Fenster« zeigt eine am Vorbild von Dresdner und Berliner Neubauvierteln rekonstruierte Welt, die mal bei Tag und mal bei Nacht zu sehen ist. Hin und wieder regnet oder stürmt es, Trabis fahren vorbei und einige Menschen sind beim Spaziergang zu sehen. Diese Welt schließt nahtlos an die bereits in der Trabant-Fahrsimulation gezeigte am Anfang der Dauerausstellung an. Weitere digitale Fenster sind im Schlafzimmer, Wohnzimmer sowie im Kindergartenraum zu finden.
Beim »Jugendspiel« gilt es, typische Entscheidungen aus dem Leben eines oder einer in der DDR lebenden Jugendlichen zu fällen: Konfirmation oder Jugendweihe, Armee oder Bausoldat? Bei einer anderen Anwendung kann man darüber hinaus alte DDR-Kinderbücher durchblättern.
In dem Kinder- und Jugendzimmer kann man also nicht nur in Erinnerungen schwelgen, sondern die Strukturen und Möglichkeiten der jungen Menschen in der DDR kennenlernen und hinterfragen sowie viele Objekte aus der Zeit entdecken. Heutige Jugendliche können ihr eigenes Leben mit dem der Jugend in der DDR vergleichen und werden dazu angeregt, ihre eigenen Lebensumstände zu reflektieren.