DDR-Musik

Hootenanny in Ostberlin

Hootenanny hatten in den USA die Almanac Singers (Pete Seeger, Woody Guthrie u.a.) ab 1941 ihre zwanglosen Konzerte genannt. Mit dem Folk Revival Anfang der 60er Jahre fanden Hootenannys international Verbreitung.
(06.01.2016)

Hootenanny hatten in den USA die Almanac Singers (Pete Seeger, Woody Guthrie u.a.) ab 1941 ihre zwanglosen Konzerte genannt. Mit dem Folk Revival Anfang der 60er Jahre fanden Hootenannys international Verbreitung.

Die laut Presseberichten »erste deutsche Hootenanny« fand am 28. Januar 1960 im Zentralen Klub der Jugend und Sportler in der Ostberliner Stalinallee statt. Der seit 1959 in der DDR lebende kanadische Folksänger Perry Friedman hatte sie initiiert. Lin Jaldati, Gisela May und andere DDR-Künstler wirkten dabei mit. Es folgten Hootenannys mit Friedman in verschiedenen Städten der DDR, u.a. in Halle, Karl-Marx-Stadt, Leipzig und Schwerin, und hatte im Juli 1961 auch eine erste Fernsehsendung (»Hootenanny am Lagerfeuer«).

1963 sorgte das sogenannte »Jugendkommuniqué« des Politbüros des ZK der SED für frischen Wind in der Jugend- und Kulturpolitik. Das zeigte sich u.a. beim Deutschlandtreffen der Jugend 1964 und im neuen Jugendstudio DT 64 des Berliner Rundfunks. Im April 1965 begann DT 64 mit Sendungen und einer Hörerdiskussion zum Thema »Sind Volkslieder noch modern?«. Die Resonanz darauf war so enorm, dass man regelmäßig Veranstaltungen unter dem Titel »Treff mit Perry« durchzuführen begann und bald nach einem festen Veranstaltungsort suchte. So wurde schließlich am 15. Februar 1966 im Klub International (im Gebäude des gleichnamigen Kinos in der Karl-Marx-Allee) von der FDJ-Bezirksleitung, Jugendstudio DT 64, Perry Friedman und einer Handvoll junger Leute der Hootenanny-Klub Berlin gegründet. Das war zunächst lediglich eine Veranstaltungsreihe, ein lockerer Treffpunkt. Jeder konnte kommen und mitmachen. DT 64 sendete regelmäßig Mitschnitte der Veranstaltungen und rief auf, selbst zu kommen und zu singen. Sowohl Amateure als auch Profis traten auf, Perry Friedman, Hartmut König, Reiner Schöne, Bettina Wegner, die Beatgruppe Team 4 und viele andere.

Die Hootenannys im Klub International und auch in größeren Sälen Berlins fanden in der Regel monatlich, zeitweise auch vierzehntägig statt. Der Klub trat bei Veranstaltungen der Berliner FDJ auf, etwa einer Solidaritätsveranstaltung für den westdeutschen Ostermarsch, beim Jugendtreffen zu Pfingsten in Eisenhüttenstadt oder bei einem Literaturfestival. Im Juni gab es einen ersten Auftritt im Jugendfernsehen und im Juli erste Rundfunkproduktionen. Im Laufe des Jahres 1966 entstanden in Berlin und anderen Städten weitere Klubs.

Ende 1965 (11. Plenum des ZK der SED) waren kritische Filme, der Liedermacher Wolf Biermann und viele Beatgruppen verboten worden. Hootenannys wurden zunächst verstärkt gefördert. Als jedoch im Frühjahr 1967 eine Kampagne gegen den „Westdrall in einigen Kulturinstitutionen“ und gegen „Anglizismen“ einsetzte, wurde der Begriff Hootenanny aus dem Verkehr gezogen. Der Hootenanny-Klub benannte sich daraufhin um in Oktober-Klub, und ansonsten sprach man von Singeklubs und Singebewegung. Von der FDJ teils gefördert, teils gegängelt, entstand eine Liedkultur, die sich später differenzierte und viele bekannte Liedermacher hervorbrachte.

Das Festival Musik und Politik in Berlin (26.–28.02.2016) erinnert an die Hootenannys vor 50 Jahren mit einer Ausstellung, Im Begleitprogramm singt Wolfram Wischott Songs von Pete Seeger, spricht Regina Scheer mit Zeitzeugen, und im Liederkino laufen Ausschnitte aus DDR-Fernsehsendungen. Bear Family Records veröffentlicht die CD »Hootenanny in Ostberlin« mit Aufnahmen von Perry Friedman, Lin Jaldati, Reiner Schöne, Pete Seeger, dem Hootenanny-Klub Berlin und anderen.

 

Gastbeitrag von Dr. Lutz Kirchenwitz

Der Kulturwissenschaftler Dr. Lutz Kirchenwitz war in der DDR-Liedszene aktiv. Er lebt in Berlin und ist Vorsitzender des Vereins Lied und soziale Bewegungen.

Abb.: Archiv Lied und soziale Bewegungen e.V.

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