DDR-Design

Das Gastronomiegeschirr RATIONELL

Wer in der DDR lebte, aber auch so mancher, der sich dort nur als Gast aufhielt, kennt sie, jene stapelbaren Portionskännchen, Tassen und Teller aus handfestem Colditzer Porzellan, denen man fast immer begegnete, wo viele Menschen zu beköstigen waren: in Hotels, Gaststätten, Raststätten, Werkskantinen, Ferienheimen und Krankenhäusern. Auch im Ostberliner Haus des Ministerrats (hier mit braunem Dekorrand) und im SED- Zentralkomitee (dort blau gestreift) gehörten sie zur Standardausrüstung. Vor allem das staatliche Reise-Versorgungsunternehmen Mitropa hatte das Gastronomie-Geschirr seit Anfang der 1970er Jahre zu seinem Bedeutungsträger gemacht.
(10.07.2014)

Wer in der DDR lebte, aber auch so mancher, der sich dort nur als Gast aufhielt, kennt sie, jene stapelbaren Portionskännchen, Tassen und Teller aus handfestem Colditzer Porzellan, denen man fast immer begegnete, wo viele Menschen zu beköstigen waren: in Hotels, Gaststätten, Raststätten, Werkskantinen, Ferienheimen und Krankenhäusern. Auch im Ostberliner Haus des Ministerrats (hier mit braunem Dekorrand) und im SED- Zentralkomitee (dort blau gestreift) gehörten sie zur Standardausrüstung. Vor allem das staatliche Reise-Versorgungsunternehmen Mitropa hatte das Gastronomie-Geschirr seit Anfang der 1970er Jahre zu seinem Bedeutungsträger gemacht. Noch heute wird es von vielen „Mitropa-Geschirr“ genannt, auch wenn es ganz andere Dekore als diesen Schriftzug aufweist.

Seinen wahren Namen „Rationell“ kannte außer ein paar Gastronomen und Designeingeweihten kaum jemand sonst. Ebenso anonym blieben den Nutzern seine Erfinder, die beiden am selben zentralen Berliner Formgestaltungsinstitut angestellten Gefäße-Spezialisten Margarete Jahny und Erich Müller. Abteilungsleiter Müller, so erklärt die mittlerweile 91-jährige Margarete Jahny, war in erster Linie „Mann der starken Zweckbezogenheit“, sie hingegen eine Vollblutkeramikerin, die sich am wohlsten als Kreative an der traditionellen Töpferscheibe fühlte, auch wenn sie andererseits die industriellen Fertigungsprozesse in der Porzellan- und Keramikindustrie aus dem ff. kannte und deren Gesetze beherrschte wie wenige Andere.

Müller und Jahny („Wir haben uns manchmal ganz schön zusammenraufen müssen!“) wurden unter den Institutskollegen meist in einem Atemzug genannt. So verschieden die gestalterischen Vorlieben der beiden waren – sie ergänzten sich beim gemeinsamen Entwerfen stets vortrefflich. So in der 1969/70 entstandenen Rationell-Serie das von Müller eingebrachte Rationale und Rationelle, Robustizität und Stapelfähigkeit ausdrückende „Männliche“ sich mit einer zwar zurückgenommenen, aber immer noch genügend selbstbewusst erscheinenden gewissen „weiblichen“ Jahny-Linie, die besonders an der Silhouette des Schnaupenverlaufs bis hinunter zum leicht gerundeten Sockel des Kaffeekännchens nachzuverfolgen ist.

Generell hat man alle Geschirrteile perfekt im Griff, ob einzeln beim Servieren oder packenweise beim Tafel-Ein- und Abdecken. Sowohl die große Kanne als auch das Portions-Kaffeekännchen sind in ihrer formalen Selbständigkeit wie auch sicheren und als sehr angenehm zu empfindenden Haptik (und erstaunlichen Leichtigkeit für ein Gaststättengeschirr) bis heute in der Gastronomie-Porzellanbranche selten so wieder erreicht worden.

Und noch eine Besonderheit ist bei den Kannen zu erwähnen: Deren Deckel hat Erich Müller dermaßen ausgeklügelt entworfen, so dass sie ohne Festzuhalten auch bei extremer Neigung des Gefäßes bis zum letzten Tropfen nicht herunterfallen können. Man setzt sie einfach drauf und muss sie nicht wie bei anderem Geschirr eindrehen, um ein Herabstürzen zu verhindern. Der westdeutsche Konkurrent Bauscher hat das damals übrigens sofort kopiert.

Ich demonstrierte das Colditzer Patent kürzlich gegenüber einem Bekannten, der in den 1980er Jahren Kellner in einem Centrum-Warenhaus-Restaurant war und bei mir zuhause auf diese Rationell-Kännchen mit dem Ausruf reagierte: „Ach diese blöden Dinger! An denen habe ich mir immer den Daumen verbrannt beim Deckelfesthalten!“ Grinsend demonstrierte ich ihm, wie unnötig dies gewesen wäre. Da nun guckte er blöd, der Gute.

Text und Bilder: G.Höhne, www.industrieform-ddr.de

P.S.: Die erste Folge der "Glanzlichter des DDR-Designs" finden Sie in hier im Blog des DDR Museums.

 

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