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Ronald Gebauer: Kitas und Kindererziehung in Ost und West

Ronald Gebauer widmet sich in seinem Aufsatz der Erziehung in Kinderkrippen und Kindergärten in Ost und West sowie nach der Wiedervereinigung.
Dabei geht er auf die Unterschiede zwischen den beiden deutschen Staaten und die Entwicklung nach der Wiedervereinigung ein. (05.01.2017)

Ronald Gebauer: Kitas und Kindererziehung in Ost und West, in: https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/lange-wege-der-deutschen-einheit/47313/kinderbetreuung?p=all (abgerufen am 02.01.2017).

Ronald Gebauer ist Soziologe und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie an der FSU Jena. Er betätigt sich in der Sozialstrukturanalyse, der Soziologie, der Sozialpolitik sowie mit den Methoden der empirischen Sozialforschung.

Ronald Gebauer widmet sich in seinem Aufsatz der Erziehung in Kinderkrippen und Kindergärten in Ost und West sowie nach der Wiedervereinigung. Zu Beginn nimmt er dabei die Unterschiede in der DDR und der Bundesrepublik in den Blick, um dann die Entwicklung nach der Deutschen Einheit zu beleuchten und auch hier die weiterbestehenden Unterschiede in den beiden Teilen Deutschlands herauszuarbeiten.

Für DDR-Bürger war die Erziehung in staatlichen und betrieblichen Kinderkrippen und Kindergärten selbstverständlich. Um dringend benötigte Arbeitskräfte freizumachen, ermöglichte der Staat den Müttern einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen. Der Staat konnte so aber auch frühzeitig ideologischen Einfluss auf die Erziehung und Entwicklung der Kinder nehmen. Die Eltern stimmten mit dieser staatlichen Zielstellung nicht immer überein, nutzen aber das nahezu kostenfreie Angebot, um ihrer Arbeit nachgehen zu können.

Beim Aufbau und der Entwicklung des Betreuungssystems stellte sich die DDR in die Kontinuität der Forderungen der sozialistischen Arbeiterbewegung vor 1945. Diese verlangte eine einheitliche Bildung. Jedoch forderte sie ebenfalls eine Mitbestimmung der Eltern und den Verzicht auf die ideologische Indoktrination – beides Aspekte, die mit den erziehungspolitischen Zielen der SED nicht zusammenpassten. Dies erläutert Gebauer im Folgenden.

Das öffentliche Kindererziehungssystem war fester Bestandteil und unterste Stufe des allgemeinen Bildungssystems laut Gebauer. Laut Autor war das System geprägt durch Zentralisierung, Politisierung bzw. Ideologisierung und Kollektivierung. Alle die Kindererziehung und Kindertagesbetreuung betreffenden Entscheidungen fielen demnach im Ministerium für Volksbildung. Allerdings war dies nur für die Kindergärten der Fall, die Kinderkrippen waren in das Gesundheitssystem eingegliedert, was der Autor vernachlässigt. Die Vorgaben für die Erziehungs- und Bildungsaufgaben waren tatsächlich auf eine ideologische Indoktrination ausgelegt, Propaganda und erste militärische Erziehung gehörten zur sozialistischen Erziehung dazu. Auch der Kollektivgedanke, der darauf abzielte individuelle Bedürfnisse einer starken Gemeinschaft unterzuordnen und den Erzieher zum autoritären Leiter des Kollektivs emporhob, spielte eine bedeutende Rolle. Jedoch räumt Gebauer selbst ein, dass dies nur eine Seite der Erziehungsrealität darstellte und die Erzieher auch eigene pädagogische Konzepte einfließen ließen, die als Korrektiv für die „Schattenseiten der ,sozialistischen Erziehung`“ gesehen werden können.

In Westdeutschland waren die Kindergärten der Kinder- und Familienhilfe zugeordnet und föderal gegliedert. Diese Struktur der freien Trägerschaft knüpfte an die Praxis in der Weimarer Republik an. Konzeptionell orientierte sich die pädagogische Arbeit an reformpädagogischen Ansätzen, das Bildungsmotiv war hier eher zweitrangig. Erst mit der Bildungsreform zu Beginn der 70er wurde dem Kindergarten der Status als Grundbaustein des Bildungswesens zuerkannt.

Nach der Deutschen Einheit gaben die alten und neuen Bundesländer ein konträres Bild ab. In Ostdeutschland gab es ein nahezu flächendeckendes Versorgungsangebot für Kinder ab dem Babyalter. Jedoch wurden zwischen 1991 und 1998 die Einrichtung deutlich abgebaut, da mit der Zerschlagung von großen Industriekombinaten und vieler Agrarfabriken der Abbau betrieblicher Betreuungsangebote einherging, andererseits gingen aber auch die Geburtenzahlen zurück, sodass weniger Plätze benötigt wurden. Für Kinder im Kindergartenalter änderte sich somit nichts an der Vollversorgung. In Westdeutschland allerdings war die Situation hinsichtlich Krippenplätzen vielmehr prekär und auch Kindergartenplätze waren nicht in ausreichender Zahl vorhanden. Durch das Recht auf einen Kindergartenplatz seit 1996 änderte sich die Situation allerdings tiefgreifend.

In beiden Teilen gab es außerdem strukturelle Veränderungen in der Kinderbetreuung. Die klassischen Unterbringungsformen wichen immer weiter kombinierten Einrichtungen, die unterschiedliche Altersstufen in wechselnder Zusammensetzung betreuten und ebenfalls Wert auf Inklusion legten. Auch Tagesstätten unter Regie von Elterninitiativen bildeten sich. Darüber hinaus wird heute in beiden Teilen Deutschlands großer Wert auf das Ineinandergreifen von Kindergarten und Grundschule gelegt. Fachliche Diskussion und gegenseitige Kritik am Erziehungssystem findet sich auf beiden Seiten, deutlich wird aber, dass beide Systeme und Traditionen hier ihre Schwächen aufwiesen und das obwohl bis heute die Kinderbetreuung bei vielen ehemaligen DDR-Bürgern als „gute Seite der DDR“ gesehen wird.


 

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