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Mit Bino gekocht und mit Maggi gewürzt

Der Text rezensiert einen Artikel von Simone Tippach-Schneider: Mit Bino gekocht und mit Maggi gewürzt. Markenbewusstsein und Weltanschauung.
(28.04.2016)

Simone Tippach-Schneider: Mit Bino gekocht und mit Maggi gewürzt. Markenbewusstsein und Weltanschauung, in: Das Westpaket. Geschenksendung, keine Handelsware, hrsg. v. Christian Härtel/Petra Kabus, Berlin 2000, S. 137-151.

Simone Tippach-Schneider studierte zunächst Werbeökonomie an der Fachschule für Werbung und Gestaltung in Berlin. Bis 1990 absolvierte sie ein Studium der Kultur- und Kunstwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. 1996 erhielt sie vom Deutschen Rundfunkarchiv DRA ein „Stipendium zur Erforschung der Rundfunk- und Mediengeschichte der DDR“ und promovierte 2001 an der Fakultät Erziehungs- und Gesellschaftswissenschaften der Universität der Künste Berlin zum Werbefernsehen in der DDR. Seit 1996 arbeitet sie außerdem als Kuratorin.

In ihrem Aufsatz geht Tippach-Schneider der Kommunikation über Produkte und Marken in der DDR auf den Grund. Sie stellt dabei die These auf, dass die Bezeichnung eines Produktes mit einem bestimmten Markennamen in der DDR immer auch eine Frage und Ausdruck einer Weltanschauung war. So zum Beispiel das DDR-Würzmittel Bino, das ihre eigene Oma immer mit dem Namen der Westmarke „Maggi“ bezeichnete.

Dadurch wurde die Verwendung von Markennamen im sozialen Kontext zum Teil der deutsch-deutschen Systemauseinandersetzung.

Je nach politischer Haltung konnte somit das Ostprodukt als Alternative oder eben reines Ersatzprodukt zum Westpendant und der westlichen Konsumwelt gesehen werden. Durch die Scheinwelt der Westwerbung umgarnt, bildete die westliche Warenwelt für viele DDR-Bürger die Richtschnur ihrer Konsumbedürfnisse. Hier zeigt sich eine ganze andere Form von Kaltem Krieg, eine Art von Schlacht auf dem Feld des Konsums, die letztlich eine der Entscheidungskämpfe der Systemkonfrontation darstellte.

Der Kampf begann allerdings schon in den 50er Jahren, insbesondere durch die Insellage West-Berlins mitten in der DDR. Berlin wurde der Ort, an dem Ost- und Westprodukte direkt in den Schaufenstern miteinander verglichen und zusätzlich sich über neue Produkte informiert werden konnte.

Auch wenn der Begriff der Marke erstmal kapitalistisch anmutet, so entstanden dennoch auch in der DDR Markenartikel. Viele Unternehmen personifizierten ihre Produkte durch einen Namen, der oftmals den Namen des Unternehmens in sich trug. Auch viele Marken aus der Vorkriegszeit wurden trotz verstaatlichter Betriebe weitergeführt, wie zum Beispiel Florena-Kosmetik. Gerade bei den „altehrwürdigen“ Marken hatte ihr Fortbestehen mit wirtschaftlichem Kalkül zu tun, hatten sie sich doch auf dem internationalen Markt bereits ihre Anerkennung gefestigt. Markennamen, die identisch mit dem Erfinder oder der Kapitalgesellschaft waren, konnte man selbstverständlich aber nicht übernehmen, weshalb für viele Produkte neue Namen kreiert wurden. Diese sollten den bestehenden Marken in der Bundesrepublik ein im Gebrauchswert gleichwertiges DDR-Produkt entgegensetzen. Bei der neuen Namensvergabe wurde häufig die sozialistische Produktionsweise verdeutlicht, in dem beispielsweise Bino, zusammengesetzt aus dem Herstellungsort Bitterfeld Nord, auf das produzierende Kollektiv verwies. Doch auch phonetisch und im äußerlichen Erscheinungsbild dem Westpendant sehr ähnliche Marken wurden absichtlich kreiert, da die Markenprodukte von vor 1945 längst im Bewusstsein der Menschen verankert waren.

An dieser Stelle räumt Tippach-Schneider ein, dass die Systemkonfrontation durch die Benutzung der westlichen Markennamen freilich von den Benutzern nicht immer als solche erkannt und bewusst ausgedrückt wurde. In vielen Köpfen waren Begriffe wie Tempo, Maggi oder Aspirin längst Synonyme von Taschentuch, Suppenwürze und Kopfschmerztablette geworden, eine ideologische Dimension gab es für sie bewusst wohl kaum. Dennoch konnte es für den Staat als ideologisch fragwürdig oder sogar systemkritisch aufgefasst werden.

Jedoch führt die Autorin ein weiteres Phänomen an, das den systemzersetzenden Charakter dieser Fixierung auf die Westmarken untermauert: Obwohl die Westprodukte physisch nicht zu erhalten waren, blieben sie in der Aufmerksamkeit der DDR-Bürger. Ein direkter Vergleich der Produkte hüben und drüben war theoretisch nicht möglich und dennoch wurde dem Westprodukt allein aufgrund der Anmutung „West“ eine bessere Qualität zugeschrieben. Über den Fernsehbildschirm holte man sich die Produkte allabendlich nach Hause und fühlte sich in seinen Ansichten bestätigt. Das Bild vom Westen wurde somit von seiner Waren- beziehungsweise Markenwelt geprägt. Denn gewünscht haben sich die DDR-Bürger von ihrer Westverwandschaft nicht irgendwelche Produkte, deren Erhalt vielmehr das Gefühl des kleinen, dummen Bruders aus dem armen Osten bestätigte, sondern eben diese Marken, die durch das Werbefernsehen für den Westen an sich standen.

Aufgrund dieser Systemauseinandersetzung, durch die Möglichkeit des Empfangs von Westfernsehen geschürt, wurde laut Tippach-Schneider die DDR-Werbung gestärkt. Zuvor als kapitalistisches Relikt verschrien, sollte sie nun dem westlichen Konsumterror etwas entgegensetzen. Wohlstand sollte in den 60er Jahren in die Haushalte einziehen und gleichzeitig nach außen kommuniziert werden. Werbung wurde zum Mittel der Propaganda und gleichzeitig zu einer Methode Bedürfnisse zu lenken und sozialistische Werte anzuerziehen.

Differenzen zwischen Ost- und Westwerbung lassen sich allerdings nach Tippach-Schneider nicht an einzelnen Spots erkennen, sondern vielmehr am Einsatz des Instruments Werbung in der DDR. Es wurden andere Produkte beworben oder Werbung verbunden mit Gesundheits- oder Arbeitskräftepropaganda sowie Informations- und Aufklärungsfilmen. Die Erzeugnisse waren das Aushängeschild des Staatsunternehmens DDR, die Werbung ihre Bühne. Doch sie konnte nicht über die Probleme der Planwirtschaft hinwegtäuschen. Dies bestärkte dann doch die Faszination vom westlichen System und den reichlich vorhandenen westlichen Markenprodukten und brach der DDR letztlich das Genick.

 

 

 

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