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Christoph Links: Leseland DDR. Bedingungen, Hintergründe, Veränderungen

Christoph Links setzt sich in seinem Aufsatz mit der DDR als Leseland auseinander. Bei der Eröffnung der Leipziger Buchmessen wurde dieses Bild des Leselandes gerne bemüht. Tatsächlich gab es ein dichtes Netz an Volksbuchhandlungen und Bibliotheken und viele Bürger wurden an das Lesen herangeführt. (13.10.2016)

Christoph Links: Leseland DDR. Bedingungen, Hintergründe, Veränderungen, in: Friedensstaat, Leseland, Sportnation? DDR-Legenden auf dem Prüfstand, hrsg. v. Thomas Großbölting, Berlin 2009, S. 196-207.

Christoph Links ist ein Berliner Verleger, der nach Aufhebung der Zensur 1989 einen der ersten ostdeutschen Verlage gründete. Zuvor arbeitete er im DDR-Aufbau Verlag als Assistent der Geschäftsleitung und veröffentlichte mehrere Sachbücher sowie literaturwissenschaftliche Aufsätze. 2008 promovierte er zur "Umgestaltung der ostdeutschen Verlagslandschaft im Prozess der deutschen Einheit". Neben der Verlagsarbeit ist er als Publizist und Gastdozent an den Berliner und Leipziger Universitäten tätig.

Christoph Links setzt sich in seinem Aufsatz mit der DDR als Leseland auseinander. Bei der Eröffnung der Leipziger Buchmessen wurde dieses Bild des Leselandes gerne bemüht. Tatsächlich gab es ein dichtes Netz an Volksbuchhandlungen und Bibliotheken und viele Bürger wurden an das Lesen herangeführt. Bei der Wiedervereinigung rangierte das Lesen auf Platz 3 der Freizeitbeschäftigungen der ehemaligen DDR-Bürger, im Westen nur auf Platz 9. Nachfolgende Studien bestätigten diese Differenz.

Hinsichtlich der Buchproduktion produzierte die DDR zwar weniger verschiedene Titel jährlich als die Bundesrepublik, pro Kopf stellte sie aber mehr Bücher her als die Bundesrepublik. Dementsprechend hoch war der Bestand an Büchern in den einzelnen Haushalten. Interessant ist auch, dass mehr als ein Drittel der Bücher dem Genre Belletristik zuzuordnen war, in Westdeutschland lag der Prozentsatz bei der Hälfte. Links erklärt dies dadurch, dass Literatur für viele ein „Welt- und Erlebnisersatz“ darstellte, da durch Reglementierungen und insbesondere Reisebeschränkungen vieles verwehrt blieb. Die Zensur sorgte allerdings dafür, dass auch diese Erfahrungswelt begrenzt blieb, wenn sie sich auch in den 80er Jahren lockerte und versteckte Kritik eher über die Literatur als über andere Medien möglich wurde.

DDR-VERLAGE

Die Buchverlage gehörten zur Hälfte dem Staat, 40 Prozent waren in der Hand von Parteien und nur 10 Prozent im Privatbesitz, doch auch hier musste oftmals eine staatliche Beteiligung akzeptiert werden. Neue private oder genossenschaftliche Verlagsprojekte wurden nicht genehmigt, die bestehenden Verlage waren in ihrem Profil klar voneinander abgegrenzt. Doch auch hinsichtlich der Mitarbeiterzahl und ihren Tätigkeiten unterschieden sich DDR-Verlage von den westlichen. Auch aufgrund schlechter technischer Ausstattung lag der Schwerpunkt der Mitarbeiter im Bereich Lektorat sowie in weiteren inhaltlichen und künstlerischen Bereichen und nicht im Bereich Vertrieb und Marketing. Dies bedeutete für die DDR-Verlage einen schlechten Stand nach der Wiedervereinigung, zumal viele Bücher von den Buchhandlungen zurückgesandt wurden, um Platz für die westliche Literatur zu machen. Nach der Abwicklung der DDR-Verlage durch die Treuhand kommt man zu einem traurigen Ergebnis: von den 78 staatlich lizenzierten Verlagen existieren heute nur noch acht, die Zahl der in Ostdeutschland in diesem Bereich Beschäftigten sank von über 6.000 auf weniger als 600.

DDR-BUCHHANDEL

Der Buchhandel war bis auf wenige Ausnahmen komplett in staatlicher Hand. Auch die Verteilung der Bücher erfolgte zentral über die zentrale Auslieferungsfirma LKG, die bevorzugt Betriebsbuchhandlungen in Partei- und Armeeeinrichtungen belieferten. Aufgrund von Mangel an Papier und Druckkapazitäten reichten die ausgelieferten Bücher allerdings nie für den Kundenansturm. Begehrte Titel gab es deshalb oftmals nur unter dem Ladentisch als „Bückware“. Dem ostdeutschen Buchhandel erging es nicht so schlecht wie den Verlagen nach der Wiedervereinigung. Sie gingen zumindest zu knapp zwei Dritteln in den Besitz von Buchhändlern aus Ostdeutschland über.

DDR-BIBLIOTHEKEN

Was die Zahl an Bibliotheken anbelangt, so stellte die DDR einen relativ problemlosen Zugang zu Büchern in der direkten Umgebung jedes Bürgers bereit. Es gab die großen Zentralbibliotheken, wissenschaftliche Allgemeinbibliotheken, aber auch Bezirks-, Kreis, Stadt- und Gemeindebibliotheken sowie Bibliotheken in Schulen und Betrieben. Sie ermöglichten, wenn auch mit teilweise langen Wartezeiten, dass jeder Bürger irgendwann in den Genuss der begehrten Titel kam. Bei Büchern aus dem Ausland entschied man allerdings intern, welche Titel zugänglich waren, welche nur an Wissenschaftler ausgehändigt wurden und für welche Titel man sogar einen speziellen „Giftschein“ benötigte, der es erlaubte im Lesesaal unter Aufsicht Einblick in besondere Lektüren zu nehmen. Nach der Wiedervereinigung fielen insbesondere die kleineren Bibliotheken dem Sparzwang und Stellenabbau zum Opfer, sodass die Zahl der Bibliotheken bis 2007 auf weniger als die Hälfte reduziert wurde.

LESEVERHALTEN

Links weist außerdem darauf hin, dass die Unterschiede zwischen Ost und West sich im Leseverhalten auch nach der Deutschen Einheit signifikant unterscheiden. Während in der DDR Anfang der 90er Jahre eine große Mehrheit mindestens einmal pro Woche ein Buch las, waren es im Westen weniger als die Hälfte der Menschen. Andere Freizeitbeschäftigungen waren hier höher im Kurs. Darüber hinaus zeigte sich auch noch lange eine deutliche Präferenz der Ostdeutschen für die vertrauten DDR-Schriftsteller sowie Autoren der Weltliteratur. Lediglich der Westdeutsche Günter Grass und der Amerikaner Stephen King konnten sich in der ostdeutschen Beststellerliste behaupten.

Zusammenfassend bestätigen Links Ausführungen die Legende vom Leseland DDR. Jedoch merkt er an, dass die Umstände dieser Freizeitbeschäftigung nicht vergessen werden dürfen. So war das Lesen in der DDR tatsächlich Breitenkultur, allerdings lässt sich dies auch aus der Ersatzfunktion heraus, die die Literatur in der geschlossenen Gesellschaft einnahm, erklären. Dies bestätigt seiner Ansicht nach, dass sich nach der Öffnung der Mauer und den hinzukommenden Medienangeboten und Möglichkeiten die Interessen ausdifferenzierten und sich das Leseverhalten langsam an das westdeutsche anglich.

Bei diesem Aufsatz handelt es sich um eine lesenswerte kulturgeschichtliche Abhandlung, die nicht nur den Status Quo darstellt, sondern versucht, das „Warum“ zu erklären. Die Überschrift allerdings weckt die Erwartung viel detaillierter über das Lesen in der DDR informiert zu werden, das Hauptaugenmerk von Christoph Links liegt hingegen auf den Veränderungsprozessen nach der Deutschen Einheit und dem Vergleich mit der Bundesrepublik. Ein Vergleich mit anderen Ostblockländern wäre vielleicht hinsichtlich der Beurteilung der DDR als Leseland nutzbringender gewesen, um herauszufinden, ob es sich hierbei um ein ostdeutsches Phänomen oder eine Begleiterscheinung geschlossener Gesellschaften handelte.

 

Bild: Andreas Praefcke (Own work (own photograph)), via Wikimedia Commons.


 

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