Der deutsche Publizist und Liedermacher Wolfgang Herzberg popularisierte als erster DDR-Wissenschaftler die »oral history« und schrieb unter Pseudonym die Texte für die erfolgreichen Rockopern seines Bruders André Herzberg. 1990 wurde sein Interviewbuch mit Erich Honecker zum letzten Bestseller der DDR. Gestern Abend gestaltete er einen Abend im Besucherzentrum des DDR Museum. Er las aus seinen vielfältigen biographischen Werken und erzählte von seinem Leben als Sohn jüdisch-deutscher Emigranten in Ost-Berlin.
Für einen kritischen Geist gab es in der DDR verhältnismäßig enge Freiräume, in denen man sein künstlerisches Schaffen unter den wachsamen Augen und Ohren der Partei ohne Reglementierung ausüben konnte. Für Wolfgang Herzberg war die kulturhistorische Beschäftigung mit den Bürgern des Arbeiter- und Bauernstaats das Mittel der Wahl, um mit dem herrschenden System umzugehen. Bei seiner Arbeit als freiberuflicher Autor strebte er stets danach, die Menschen zu verstehen, die in der DDR lebten, und ihnen eine Stimme zu geben.
Nach einer kurzen Begrüßung durch unseren wissenschaftlichen Leiter Dr. Stefan Wolle, der übrigens ein langjähriger Bekannter Herzbergs ist, begann der Dokumentalist und Musiker mit einem biographischen Rückblick. Herzberg wurde 1944 in Leicester, England als Sohn von jüdisch-deutscher Emigranten geboren. Sein Vater versorgte als Mitglied der englischen Armee deutsche Gefangene mit Literatur, bevor die Familie 1947 nach Ost-Berlin zurückkehrte. Hier war seine Mutter als Staatsanwältin für Jugendkriminalität tätig, sein Vater arbeitete als Journalist und „Propagandamann fürs Hausblatt“; wie Herzberg es mit eigenen Worten beschrieb. Als Kontrast zu seiner Erziehung im „sozialistischen Sinne“ entdeckte er in den späten 50er Jahren die Jazzmusik für sich und besuchte unter anderem regelmäßig Veranstaltungen im Haus der jungen Talente, dem zentralen Klubhaus der Berliner Jugend.
Während seines Studiums der Kulturwissenschaft an der Humboldt Universität zu Berlin solidarisierte Herzberg sich öffentlich mit Wolf Biermann und besuchte diesen auch nach seiner Ausbürgerung aus der DDR 1976 regelmäßig. Obwohl er Biermanns „moralisierenden Ton gegen die Staatsführung“ kritisierte, beschreibt er seine Musik dennoch als inspirierend. Als er mit der Promotion zum Thema „Entwicklung des Kulturverständnisses der SED“ beauftragt wurde, stellte das Herzberg vor große Schwierigkeiten: So sehr er sich auch bemühte, es gelang ihm einfach nicht, über eine „reine Ideologiegeschichte“ zu schreiben, sodass dieses Projekt schließlich unvollendet blieb. Vielmehr interessierten den Kulturhistoriker bereits während seiner Studienzeit die Lebenswirklichkeiten der arbeitenden Bevölkerung, sodass er zeitweise im Tiefbau und der Landwirtschaft tätig war, um „aus der Käseglocke der Ideologie“ heraus zu kommen.
Nach seinem Studium wurde Herzberg Kulturhausleiter im Berliner Glühlampenwerk, wo er erneut durch systemkritische Handlungen aneckte. Nachdem er sich weigerte, die von ihm aufgehängten Portraits von Che Guevara, Karl Marx und Lenin von der Wand seines Arbeitsplatzes zu nehmen, folgte prompt die Kündigung. Nachdem Herzberg 1974 – 1979 als freiberuflicher Redaktions- und Regieassistent beim Dokumentarfilm und Fernsehen der DDR tätig war, etablierte er sich schließlich seit 1980 als freiberuflicher Autor. Sein beruflicher Fokus lag auf dem Sammeln von Biographien und so führte er Interviews mit Menschen aus der Arbeiterklasse, unter anderem auch mit ehemaligen Kollegen aus dem Glühlampenwerk Berlin, und fasste diese einzigartigen Geschichten in verschiedenen Publikationen zusammen. Eines seiner erfolgreichsten Werke war die 1985 erschienene Biographiensammlung „So war es – Lebensgeschichten 1990-1980“, aus der er exemplarisch einige Auszüge las. Ebenso las er aus seinem 1990 erschienenen Werk „Der Sturz. Honecker im Kreuzverhör.“, ein biographisches Interview mit Erich und Margot Honecker.
Herzberg beendete seine Ausführungen mit dem selbstkomponierten Lied „Ich bin eine Kiefer im märkischen Sand“, das er mit der Gitarre vortrug.