Da absolviert man nichts ahnend als Masterstudent der Technikgeschichte an der TU Berlin sein Praktikum im DDR Museum, ist dabei auf der Suche nach Dokumenten für den Schwalbe-Roller des Hauses und was findet man in den Depotschränken: originale Betriebsanleitungen für den Motorroller SR 59 „Berlin", auch Berlin-Roller genannt. Und was bitteschön soll jetzt daran interessant sein? Wenn man wie ich im Besitz eines solchen Rollers (inklusive Campi-Anhänger) ist und seit Jahren mit diesem Gefährt durch die regelmäßige Teilnahme an Oldtimerveranstalltungen quasi in einer Art Ehegemeinschaft lebt, treibt einem der Fund einer entsprechenden Betriebsanleitung im Praktikum zwangsläufig ein Lächeln ins Gesicht. Ein derart großes Lächeln, dass es sich sogar auf unseren Sammlungsleiter übertrug und ich den Berlin-Roller nun als „Objekt der Woche" vorstellen darf.
Der Motorroller SR 59 „Berlin" (SR= Stadtroller, 59=1959) erschien 1959 als direkter Nachfolger des SR 56 „Wiesel". Hersteller waren die Industriewerke Ludwigsfelde (IWL), die ab 1965 unter anderem den LKW W-50 herstellten. Insgesamt produzierten die IWL vier Rollertypen (Pitty, Wiesel, Berlin, Troll1), von denen der Berlin stückzahlenmäßig mit rund 113.000 zwischen 1959 bis 1962 gebauten Einheiten die Spitze der DDR-Motorrollerproduktion einnahm. Der SR 59 „Berlin" verfügt gegenüber dem Wiesel mit seinen 125ccm über einen gebläsegekühlten 150ccm Zweitaktmotor von MZ mit 7,5 PS Leistung und vier Gängen, einer für den Roller modifizierten Variante des Motors der MZ (RT) 125/3. Gut 85 km/h erreicht er in der Spitze.
Optisch kann man übrigens den seinem Vorgänger sehr ähnlich sehenden Berlin-Roller an den bequemen Einzelsitzen mit weißer Gummidecke und dem freiliegenden Auspuff auf den ersten Blick erkennen. Beim Wiesel verbirgt sich der Auspuff unter dem Trittbrett und man muss auf einer relativ harten Sitzbank Platz nehmen. Dass einige Berlin-Roller zu Lenkerflattern und Fahrwerksunruhen neigen, liegt nach meiner Erfahrung oft an ausgeschlagenen Kunstoffbuchsen des Schwingenfahrwerks oder auch an unsauber eingebauten neuen Buchsen! Persönlich sind mir derartige Effekte bei meinem Roller jedenfalls bislang weder im Solo- noch im Gespannbetrieb mit Hänger und Sozia aufgefallen. Apropos Hänger: Der ganz auf die Form des Rollers zugeschnittene, formschöne Nachläufer mit der einfallsreichen Bezeichnung „Campi" kostete damals 420 Mark. Heutzutage bezahlt man für einen ordentlichen Campianhänger, sofern einer angeboten wird, oft noch mehr als für den Berlin-Roller als Zugfahrzeug.
Auf den Fotos sieht man übrigens neben unserer Betriebsanleitung meinen Berlin-Roller (Bj. 1959) mit Campi (Bj. 1961) und diversem Zubehör wie Windschild, Zierleisten, Blinkern und Kindersitz.
geschrieben von Marcel Bürger