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Von Papierschnipseln und Aktenbergen – Die lange Nachgeschichte der Stasi-Akten

Die Stasi-Akten stehen bis heute für die umfassende Überwachung der Bevölkerung durch die SED-Diktatur. Ihr Umgang prägt die Aufarbeitung der DDR-Geschichte bis in die Gegenwart. Dieser Blogbeitrag zeigt, wie schwierig der Weg zu einem angemessenen Umgang mit diesem Erbe war. von Dr. Liza Soutschek (06.11.2025)

Die Staatssicherheit, kurz Stasi, war eines der gefürchtetsten Instrumente des Repressionsapparates der SED-Diktatur. Der Geheimdienst, errichtet 1950 nach sowjetischem Vorbild, betrieb nicht nur Auslandsspionage, sondern überwachte als Geheimpolizei insbesondere auch die eigene Bevölkerung. Berühmt-berüchtigt war die Sammelwut des Ministeriums für Staatssicherheit, das nahezu jedes Detail über Menschen zu erfassen suchte, die sie als unliebsam einstufte.

In der Sammlung des DDR Museum erinnert ein Karteipaternoster aus der ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg an die Aktenfülle, die dadurch entstand. Dieses technische Hilfsmittel diente dazu, die gewaltigen Bestände überhaupt zugänglich zu machen. Trotz der überbordenden Informationserfassung, die heute mitunter fast hilflos anmutet, war die Stasi keineswegs ein »zahnloser Papiertiger«. Die unzähligen Abhör- und Überwachungsprotokolle sowie die personenbezogenen Akten dienten regelmäßig der Verfolgung und Unterdrückung von Oppositionellen und Andersdenkenden.

Offener Karteipaternoster aus Metall mit gelben Fächern für die Karteikarten

Der Sturm auf die Stasi-Zentrale

Welche Bedeutung die Bürgerrechtsbewegung der Auflösung der Stasi am Ende der DDR beimaß, zeigte sich bereits wenige Wochen nach dem Fall der Berliner Mauer. Mutige Bürger*innen besetzten damals lokale Dienststellen, um die laufende Aktenvernichtung zu stoppen, die auf Anweisung des Ministers für Staatssicherheit, Erich Mielke, bereits Anfang November 1989 begonnen hatte.

Am 15. Januar 1990 stürmten Teilnehmende einer Demonstration schließlich die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße. Damit war das Ende des Ministeriums für Staatssicherheit besiegelt und der langwierige Auflösungsprozess nahm seinen Lauf. Neben dem Ende der Bespitzelung stand für die Akteur*innen der Friedlichen Revolution der zukünftige Umgang mit den Stasi-Akten im Zentrum, die mehrheitlich unter krasser Verletzung der Privatsphäre entstanden waren. Unterschiedliche Interessen prägten zunächst die hitzig geführte Debatte.

Flugblatt mit der Aufschrift: »Mit Fantasie gegen Stasi und Nasi – Aktionskundgebung: 15. Januar um 17 Uhr«

Zugang zu den Stasi-Akten

Am 3. Oktober 1990, dem Tag der Deutschen Einheit, wurde schließlich der Grundstein für den zukünftigen Aktenzugang gelegt. Joachim Gauck, Pfarrer in der DDR und späterer Bundespräsident, wurde zum »Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes« ernannt. 52 Mitarbeitende nahmen noch im selben Monat ihre Arbeit auf. Erste Auskünfte wurden im Dezember 1990 erteilt, auch Forschung und Medien erhielten nun einen Zugang.

Am 29. Dezember 1991 trat dann das Stasi-Unterlagen-Gesetz in Kraft. Gauck wurde zum ersten Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen DDR (BStU) ernannt. In den folgenden Jahren wuchs der Personalstab, um die vielfältigen Aufgaben der ihm unterstehenden Behörde zu bewältigen. Neben der Zentrale in Berlin entstanden zudem Außenstellen, die die lokalen Aktenbestände verwalten sollten.

Die Nachfrage war insbesondere in den ersten Jahren immens. Bürger*innen erhielten nun erstmals Einsicht in die Unterlagen, die das MfS über sie angelegt hatte – mitunter mit schockierenden Ergebnissen. Wie weit der Arm des »Schilds und Schwerts der Partei« tatsächlich gereicht hatte, wurde vielen nun erst bewusst. Der Zugang zu personenbezogenen Akten unterlag dabei von Anfang an strengen rechtlichen Vorgaben, um die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu schützen. In diese Zeit fielen auch die medienwirksamen Enthüllungen ehemaliger »Inoffizieller Mitarbeiter« der Stasi, die in der wiedervereinigten Bundesrepublik für Diskussionen sorgten.

Zugleich arbeiteten bei der »Gauck-Behörde« zahlreiche Wissenschaftler*innen, die auf Basis des Aktenmaterials grundlegende Publikationen zur Struktur, Arbeitsweise und Geschichte der Staatssicherheit veröffentlichten. Auf Gauck folgten nach der Jahrtausendwende Marianne Birthler (2000) und später Roland Jahn (2011) als Bundesbeauftragte nach, beide engagierte Oppositionelle der DDR.

Beeindruckende Zahlen

Die Aufarbeitung der SED-Diktatur durch die BStU hat international Maßstäbe gesetzt. Für viele postdiktatorische Gesellschaften gilt der gesetzlich geregelte Zugang zu den Akten und deren wissenschaftliche Erschließung als Vorbild. Die schiere Fülle des Archivmaterials ist beeindruckend.

Rund 51 Kilometer Schriftgut stammen aus den von der Stasi selbst archivierten Beständen, weitere 60 Kilometer wurden 1990 unsortiert aus den Büros der Mitarbeitenden übernommen. Über 90 Prozent dieser Unterlagen sind inzwischen erschlossen und stehen den Nutzer*innen zur Verfügung.

Darüber hinaus vernichtete die Stasi in den letzten Wochen ihres Bestehens viele Dokumente. Rund 15.000 Behältnisse mit Papierschnipseln sind bis heute erhalten. Überwiegend in mühsamer Handarbeit konnten bislang mehr als 1,7 Millionen Blätter und Karteikarten aus diesen Überresten rekonstruiert werden.

Ein besonderes Kapitel bilden die Unterlagen der Hauptverwaltung Aufklärung (HV A), also der Auslandsaufklärung der Stasi. Deren Akten wurden im Frühjahr 1990 fast vollständig vernichtet. Über Umwege gelangten jedoch die sogenannten Rosenholz-Dateien – eine Kopie der HV A-Personenkartei bis 1988 – in den Besitz der CIA und später an deutsche Behörden.

Bedeutung der Stasi-Akten

Die Rolle der Stasi-Akten ist für die Aufarbeitung der SED-Diktatur von außerordentlicher Bedeutung. Der starke Fokus auf die Staatssicherheit überschattete mitunter jedoch andere Aspekte der DDR-Geschichte – etwa die dominierende Rolle der Staatspartei SED, der auch die Stasi unterstand, oder die vielfältigen Facetten des Alltagslebens, die nicht ausschließlich durch die Brille des MfS zu verstehen sind.

Trotzdem bleibt die Erinnerung an Verfolgung und Repression durch das MfS für viele betroffene Menschen das prägendste Erlebnis der DDR-Zeit. Angesichts des gewaltigen Umfangs der Archivbestände wird deutlich, dass es sich keineswegs um wenige Einzelschicksale handelt.

Foto aus dem rekonstruierten Stasi-Abhörraum im DDR Museum mit aufgeschlagener Stasi-Akte, Wählscheibentelefon und Schreibmaschine auf einem Schreibtisch.

Im DDR Museum gehört das »Abhörzimmer« daher mit zu den zentralen Räumen in der Ausstellung. Es zeigt anhand authentischer Einrichtung, wie perfide und akribisch Mitarbeitende der Stasi Informationen sammelten und wie riesig die Aktenberge waren, die selbst über völlig Unschuldige angelegt wurden.

Wer sich ausführlicher mit der Arbeit der Behörde und der Geschichte der Aktenaufarbeitung befassen möchte, findet auf der Webseite des Stasi-Unterlagenarchivs, das seit 2021 Teil des Bundesarchivs ist, weiterführende Informationen.

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