Am 1. Juli 1990 um Punkt Mitternacht war es so weit: Vor der neu eröffneten Filiale der Deutschen Bank am Alexanderplatz in Ost-Berlin hatte sich eine Menschenschlange gebildet. Dort wurde nach der Einführung der D-Mark als offizielles Zahlungsmittel in der DDR das erste Westgeld an die wartenden Menschen ausgezahlt. Ein historischer Moment.
Die Sehnsucht nach der D-Mark als »harter Währung« war damals groß. In der DDR hatte das Westgeld neben der eigentlichen Währung, der Mark der DDR, jahrzehntelang eine wichtige Rolle gespielt. Offiziell umgetauscht in Forumschecks ermöglichte die D-Mark beispielsweise den Zugang zur Warenwelt der Intershops. Gleichzeitig kursierte das Westgeld aber auch – trotz Verbot – als Schattenwährung. Mittels Zeitungsannoncen wurden begehrte Waren gegen »blaue Fliesen« getauscht, gemeint waren damit die blauen 100-DM-Scheine.
Nach dem Fall der Mauer und der Öffnung der innerdeutschen Grenzen am 9. November 1990 wurden schnell Rufe nach der D-Mark laut, die als Symbol für Freiheit und Wohlstand galt. Spätestens mit der Volkskammerwahl am 18. März 1990 war die Entscheidung für eine rasche Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten gefallen.
Der wichtigste Schritt auf dem Weg zur deutschen Einheit war die Übernahme des wirtschafts- und sozialpolitischen Systems der Bundesrepublik und die Einführung der D-Mark als offizielles Zahlungsmittel in der DDR. Grundlage hierfür war der Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, den die Finanzminister beider deutscher Staaten am 18. Mai 1990 unterzeichneten. Am 1. Juli trat er in Kraft.
Während am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, die Wiedervereinigung Deutschlands offiziell gefeiert wurde, hatte der 1. Juli unmittelbare Auswirkungen auf das Leben in Ostdeutschland. In den Wochen und Monaten zuvor waren die Menschen für die D-Mark sowie den Umtauschkurs von 1:1 auf die Straße gegangen. Entgegen den Empfehlungen führender Ökonom*innen erfüllte die Bundesregierung unter Helmut Kohl diese Forderung – mit langfristigen wirtschaftlichen Folgen.
Zunächst einmal herrschte in den Tagen vor der Währungsunion allerdings Hochbetrieb in der DDR. Während Löhne, Gehälter, Renten und Mieten automatisch zum Kurs von 1:1 umgestellt wurden, war das Verfahren für Sparguthaben etwas komplizierter. Zuerst musste das Geld auf ein Bankkonto eingezahlt, dann ein Umstellungsantrag gestellt werden. Der Umtauschkurs hing dabei von Alter und Höhe des Betrages ab: Kinder bis 14 Jahren konnten 2.000 DDR-Mark 1:1 tauschen, Erwachsene bis 59 Jahre 4.000 DDR-Mark und Senior*innen bis zu 6.000 DDR-Mark. Alle höheren Summen wurden zum Kurs 2:1 umgestellt. In den Wochen vor dem Stichtag tagten daher die Familienräte in der DDR. Es galt, die Bankguthaben möglichst vorteilhaft zwischen den Familienmitgliedern umzuschichten. Mit einem Stempel im Sparbuch wurde dann das exakte Umstellungsguthaben in DM festgehalten.
Die anfängliche Freude über die D-Mark war bei den meisten groß. Immerhin war das Westgeld jahrelang die Projektionsfolie für die unerfüllten Konsumwünsche in der DDR gewesen. Mit der Einführung der D-Mark öffneten sich die Türen zur westlichen Warenwelt. Der große Kaufrausch blieb allerdings aus, zu groß war bei vielen die Unsicherheit, die mit dem politischen und wirtschaftlichen Umbruch verbunden war.
Viele erfüllten sich im Sommer 1990 allerdings ihre lang gehegten Reiseträume mit der D-Mark in der Tasche. Obwohl die Grenzen schon seit dem 9. November 1989 offen standen, war der Urlaub im Westen für viele erst jetzt bezahlbar. Zum 1. Juli 1990 fielen zudem die letzten Grenzkontrollen zwischen der DDR und der Bundesrepublik endgültig weg. Abenteuerlustige schwangen sich sogar aufs Rennrad und klebten sich die Erinnerung an die neue, unbekannte Welt wie Trophäen aufs Schutzblech, wie dieses Fahrrad aus unserer Sammlung zeigt.
Gleichzeitig brachte die Währungsunion tiefgreifende Veränderungen im Alltag der Menschen mit sich. Über Nacht wandelte sich das Erscheinungsbild in den Geschäften und Supermärkten. In den Tagen vor dem 1. Juli 1990 wurden vielerorts die Regale leergeräumt und die Schaufenster neu dekoriert. Ab Montag, dem 2. Juli, war die neue Ware dann gegen D-Mark erhältlich. Besonders die Lebensmittelpreise stiegen spürbar an. Zugleich verschwanden viele vertraute Ost-Produkte aus den Einkaufskörben, da sie sich gegenüber den West-Marken häufig nicht behaupten konnten.
Ein Beispiel dafür ist die Haselnusscreme Nudossi, die in der DDR als Alternative zu Nutella produziert wurde. Ausschlaggebend für ihr Verschwinden war jedoch nicht allein das veränderte Kaufverhalten, sondern auch die strukturellen Probleme vieler DDR-Betriebe. So musste der VEB Elbflorenz, in dem Nudossi hergestellt wurde, bereits am 16. April 1990 den Betrieb einstellen, mit der Konsequenz, dass Hunderte Beschäftigte ihre Arbeit verloren. Mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zeigte sich schnell, dass viele DDR-Betriebe nach Jahrzehnten der Planwirtschaft unter marktwirtschaftlichen Bedingungen nicht mehr wettbewerbsfähig waren. Betriebsschließungen sowie Massenentlassungen waren die Folge und zahlreiche Lebensläufe gerieten ins Wanken.
Unter dem Titel »Endlich Westgeld!« macht die Ausstellung deutlich: Die Einführung der D-Mark in der DDR war weit mehr als ein bürokratischer Akt. Der Vorgang war emotional aufgeladen, politisch brisant und wirtschaftlich folgenreich. Mit einem alltagsgeschichtlichen Zugang erzählt die Ausstellung anhand originaler Objekte – etwa einer Geldzählmaschine oder einem Geldsack aus dem Jahr 1990 – von der Bedeutung des 1. Juli als vielleicht eigentlichem Tag der deutschen Einheit. Sie lädt dazu ein, sich mit dem wirtschaftlichen und sozialen Fundament der Einheit auseinanderzusetzen und dabei auch aktuelle Debatten über Erinnerungskultur und das Verhältnis von Ost und West neu zu betrachten.