Vergangenheit ist für Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk nicht nur Geschichte, sondern eine unerschöpfliche Quelle der Entdeckung. Der neue wissenschaftliche Berater des DDR Museum bringt nicht nur Fachwissen, sondern auch eine persönliche Verbindung zur DDR mit – und eine klare Vision. Während er sich noch in die Strukturen des Museums einarbeitet, plant er bereits neue Projekte, um dessen Reichweite zu vergrößern und es als Ort lebendiger Debatten in Berlin zu etablieren. Sein Weg zum Historiker begann früh, geprägt von unermüdlicher Neugier und der Freude am Schreiben. Doch auch abseits der Forschung hat er spannende Interessen – von Musik bis zu Reisen. In diesem Interview gibt er nicht nur Einblicke in seine Arbeit, sondern auch in seine persönliche Geschichte.
Wir sind da noch ein bisschen in der Orientierungsphase. Ich muss den »Laden« erstmal richtig kennenlernen. Ich bin dabei, ein, zwei neue Projekte zu entwickeln, um die Ausstrahlung des Museums überregional zu verstärken. Ich würde auch gerne darüber nachdenken, das Museum noch stärker als Debattenort in der Berliner Stadtgesellschaft zu verankern. Aber voraussichtlich wird meine Haupttätigkeit darin liegen, künftige Vorhaben des Museums mit meiner Expertise zu begleiten und vielleicht auch ein Stück weit mit zu entwickeln. Schließlich, ich schreibe ja ganz gern, werde ich auch das eine oder andere Buchprojekt planen, das ich gern für den Verlag des Museums umsetzen würde. Also, da steht eine ganz Menge an, aber so etwas entwickelt sich und ich will nichts übers Knie brechen.
Ich habe schon als Kind große Lust verspürt, Neues zu entdecken. Dafür bietet mir die Vergangenheit ein unendlich großes Reservoir. Die Arbeit in Archiven und Bibliotheken ist für mich ein Fest der Freude, des Genusses. Meine Neugier kann hier nie gestillt werden. Es gibt eigentlich nichts, was mich nicht interessieren würde. Das steht im krassen Gegensatz zu der Einsicht, eigentlich nichts zu wissen – und schon gar nichts richtig ... Aber das ist das Los von allen Wissenschaftler*innen. Ich bin eher der Einzelgängertyp, liebe es allein in abgedunkelten Räumen mit altem Papier zu arbeiten – das Historikerdasein bietet dafür eine exzellente Grundlage. Und da ich gern schreibe, Bücher und Aufsätze, passt alles irgendwie perfekt zusammen. Ich konnte mein größtes Hobby zum Beruf machen!
Oh ja – ich bin dort, in Ost-Berlin 1967 geboren worden, wuchs am Müggelsee in Friedrichshagen auf und lebte dort auch bis Ende der 1980er-Jahre, ehe ich in den Prenzlauer Berg »wechselte«, in dem ich mir eine leerstehende Wohnung »nahm«. So war das damals, auch Angela Merkel »bekam« so ihre erste Wohnung im Prenzlauer Berg.
Ich wuchs eigentlich ziemlich unspektakulär auf (abgesehen von schlimmen Krankheiten), glaubte bis zu meinem 14., 15. Lebensjahr an den DDR-Sozialismus. So bin ich erzogen worden. Dann erhielt ich ein paar Dellen, sehr unangenehme, die viele, viele Jahre lang fortwirkten, und ich entwickelte eine größere Distanz zum SED-Staat. War Maurer und Pförtner als Jugendlicher und junger Mann, nicht gerade meine Traumberufe, aber sie haben mir viel für mein Leben gegeben. Mit 19 Jahren veröffentlichte ich als Pförtner meinen ersten wissenschaftlichen Aufsatz, auf den ich bis heut stolz bin wie auf sonst nichts, was ich wissenschaftlich machte. Niemand hatte mir gesagt, wie es ging, ich brachte es mir selbst bei, beschaffte mir Archivalien aus verschiedenen Ländern und schrieb eine kleine ungelenke Skizze über einen Wissenschaftler aus dem 19. Jahrhundert. Erst nach der Freiheitsrevolution von 1989, die in meine politische DNA eingebrannt ist, auch als »meine Revolution«, konnte ich studieren. Als die DDR unterging weinte ich ihr keine Träne nach, sondern war einfach nur froh, dass es vorbei war und ich jung genug, um nun endlich durchstarten zu können, was ich auch tat.
Die Gefängnistür.
Pyrotechniker, Archäologe, Offizier (der Wunsch wurde mein Schicksal) und dann seit meinem 15. Lebensjahr Historiker.
Alles, was ich tue, hat mit meinem Hobby »Historikerdasein« zu tun. Aber ok, ich bin ein ziemlicher Musiknerd, habe eine große Sammlung, lese viel dazu, gehe aber nur noch selten in Konzerte, weil ich seit 11 Jahren an MECFS leide, was meine Kraft und meinen Bewegungsradius stark einschränkt. Ich lese natürlich sehr viel, auch hier gibt es nichts, was mich nicht interessiert, was natürlich Mist ist, da ich nie das Gefühl habe, vom Fleck weg gekommen zu sein. Der Berg unerledigter Dinge wird nie auch nur ansatzweise kleiner. Nur bei Reisen ins Ausland verspüre ich eine gewisse Entlastung.
Ich gehöre nicht zu den Menschen, die über zu wenig Zeit klagen. Mein Leben ist ziemlich selbstbestimmt, sehr freiheitlich – also sehr privilegiert. Ich würde also nichts anders machen. Ich wäre gern gesund, dann nämlich könnte ich Dinge machen, die ich seit vielen Jahren nicht mehr tun kann.
Mich haben viele Persönlichkeiten beeindruckt, seit meiner Jugend lese ich ununterbrochen Biographien. Politisch hat mich am stärksten und tiefsten Gerd »Poppoff« Poppe geprägt, mein Freund seit 35 Jahren. Er war in der DDR eine der markantesten Figuren in der Opposition gegen den SED-Staat seit den 1960er-Jahren, gründete dann 1985/86 die kirchenunabhängige »Initiative Frieden und Menschenrechte« mit. Er war einer der Vordenker der Freiheitsrevolution von 1989! Und er war einer der ganz wenigen maßgeblichen Oppositionellen ohne kirchliche Anbindung oder kirchlichen Schutz. Ab 1990 war er dann weltweit in Sachen Menschenrechte und Demokratie aktiv – er hat sich nie verbiegen lassen, war nie Opportunist, stand immer für Freiheit ein und lebte freiheitlich. Ich schaue zu ihm auf und lernte unendlich viel von ihm, vor allem standhaft und freiheitlich zu sein.
Ich würde gern in das Jahr 1918 reisen und meinen ukrainischen Großvater kennenlernen, der für eine freie und unabhängige Ukraine kämpfte und dafür 1921 zum Tode verurteilt wurde. Er hieß Ilko Kowalczuk. Kurz vor der geplanten Hinrichtung ist er mit anderen befreit und außer Landes gebracht worden. Als mein Vater Ilko Bohdan Kowalczuk 1934 geboren wurde, lebte sein Vater schon nicht mehr. Er kam einige Monate zuvor bei einem Eisenbahnunfall ums Leben, so wie mein Vater 1992 von einem Auto tödlich überfahren wurde. Meine Frau wollte daher nicht, dass eines unserer vier Kinder auch Ilko heißt ... Ich möchte gern einmal ein Buch über die beiden Ilkos schreiben, ihre Lebensgeschichte rekonstruieren, weil darin sehr viel europäische Geschichte steckt. Wenn die Ukraine den Krieg gewonnen hat, werde ich wieder dorthin fahren und recherchieren. Die Ukraine war zeitlebens für mich ein bisschen Heimat.
Ich wäre gern unsichtbar, um den Bösen dieser Welt den Garaus zu machen.