Was bleibt von der DDR?

Polizeiruf 110

Vom DDR-Fernsehen blieb nach der Wiedervereinigung nicht viel übrig. Zum Ende des Jahres 1991 wurde das ostdeutsche Fernsehen eingestellt und auch nur wenige TV-Produktionen konnten sich über diesen Zeitraum hinaus halten. „Ein Kessel Buntes“ und das „Jugendmagazin Elf 99“ existierten noch einige Jahre, geblieben sind nur das „Sandmännchen“ und der „Polizeiruf 110“, um den es heute gehen soll. (08.02.2017)

Die Krimireihe Polizeiruf 110 ging 1971 an den Start und befriedigte das Bedürfnis der Zuschauer nach einer neuen Krimiserie, nachdem das „Blaulicht“ 1968 eingestellt worden war. Außerdem sollte ein Gegenpol zum bereits 1970 erstmals ausgestrahlten West-„Tatort“ etabliert werden. Der Polizeiruf hatte in der DDR regelmäßige Einschaltquoten von 40 bis 50 Prozent. Die Reihe war damit eines der beliebtesten TV-Angebote der DDR. Da Medien in der DDR die Funktion zu erfüllen hatten, das politische System zu stützen und seine Unfehlbarkeit zu propagieren, hatte eine Krimireihe die schwierige Aufgabe mit der Darstellung von Kriminalfällen etwas Wesensfremdes zu thematisieren. Gelöst wurde die Aufgabe zunächst dadurch, dass Kriminalität als historische Erscheinung behandelt wurde und später als ein Phänomen, das der Klassenfeind in die DDR brachte, was nach dem Mauerbau nicht mehr glaubwürdig war. 1967 ging „der Staatsanwalt hat das Wort“ auf Sendung und Verbrechen wurden erstmals in das DDR-System verlegt.

Mit dem „Fall Lisa Murnau“ begann die Geschichte des Polizeirufs, der neben einer Unterhaltungsfunktion auch eine präventive Funktion zu erfüllen hatte, indem er Verbrechen durch deren Darstellung und Aufklärung vorbeugen und gleichzeitig ein positives Staatsbild befördern sollte. Um eine linientreue und gemäß der Staatsmacht authentische Darstellung zu ermöglichen, nahm das Ministerium des Innern großen Einfluss auf alle Produktionsphasen. Insbesondere die Ermittler selbst wurden streng beäugt, denn sie sollten keinesfalls extravagant, sondern streng aber gerecht, gesetzestreu, klug und beherrscht sein. Ihr Privatleben sollte weitgehend ausgeklammert werden. Diese Mitarbeit des MdI blieb bis 1990 bestehen.

Charakteristisch für die Folgen war die allgegenwärtige und für jegliche Delikte und Regionen zuständige Sondereinsatzgruppe der Volkspolizei, deren jeweilige Ermittler sich zufällig immer am Ort des Verbrechens befanden. Die Delikte variierten, waren jedoch zumeist an persönlichem Versagen und Umständen festgemacht. Nach den ersten Folgen mit der typischen „verdeckten Täterführung“ ging es deshalb auch hauptsächlich um das „Warum“ der Tat. Dadurch ließ sich hervorragend ein Gut-Böse-Schema durchsetzen, bei dem der Täter letztlich gefasst und bestraft wurde, während die Unschuldigen vollständig entlastet wurden. Häufig wurde allerdings auch eine Resozialisierung des Täters thematisiert.

Nach dem Mauerfall war der Polizeiruf nach Meinung der Fernsehschaffenden einer der wenigen erhaltenswerten Bestandteile des DDR-Fernsehens. Das Grundkonzept sollte erhalten bleiben, während die Reihe sich gleichzeitig für neue Themen und Dramaturgien öffnen sollte. Man passte die Folgen und bereits geschriebene Drehbücher an die neue soziale Realität an, auch wenn dies erst mit einer enormen zeitlichen Verzögerung funktionierte. Dabei herrschte das Prinzip vor, alles darzustellen, was sich durch die Wiedervereinigung hinsichtlich der Konsumkultur geändert hatte.

Auch eine Kooperationsproduktion von Polizeiruf und Tatort wurde, um buchstäblich Grenzen zu überwinden, gedreht. Ansonsten glich sich wohl eher der Osten dem Westen an. Tötungsdelikte, die zu DDR-Zeiten eher ein Tabu im Fernsehkrimi waren, waren im Polizeiruf nun dauerhaft präsent. Die Einsatzgruppe wurde zur in Berlin verankerten Mordkommission.

1994 wurde der Polizeiruf fester Bestandteil der Sonntagabend-Primetime der ARD und wechselte sich hauptsächlich mit dem Tatort ab. Statt einer zentralistischen Produktion, übernahmen die einzelnen Rundfunkanstalten der ARD nach der Wiedervereinigung diese gemeinsam, seit 1994 sind auch die westdeutschen Anstalten an der Produktion beteiligt. Dadurch ähnelt der Polizeiruf mittlerweile dem Tatort, wenn auch ein paar signifikante Unterschiede beibehalten wurden. So blieben die Fälle des Polizeiruf 110 in den mittleren Städten bis kleinen Dörfer, deren Einwohner auf ganz eigene Verhaltensmuster zugespitzt werden, und entfernt der High Society verankert und die Spannung wurde nicht grundsätzlich durch Gewalt und Action erzeugt. Außerdem befasst sich die Krimireihe bis heute stärker mit den menschlichen und psychologischen Hintergründen des Verbrechens als mit dessen Aufklärung, dabei werden die Geschichten sowohl aus Opfer- als auch aus Tätersicht erzählt. Die Tatgründe, die nun häufig mit der totalen Lebensveränderung durch die Wiedervereinigung zusammenhängen, werden für den Zuschauer dabei oft nachvollziehbar. Der „didaktische Zeigefinger“ wurde allerdings aus dem Programm gestrichen und auch die Ermittler, die ihre Arbeit häufig erst zu einem späten Zeitpunkt aufnehmen, sind nicht mehr die unfehlbaren Helden aus DDR-Zeiten.

Ist der Polizeiruf heute auch insbesondere in Ostdeutschland ein beliebtes Krimiformat, gibt es viele Kritiker der „Neuinterpretation“. Es gibt die Kritik, dass die neue Konzeption noch nicht wirklich gefunden ist oder sogar, dass der neuartige Fernsehkrimi lediglich den alten Namen geklaut habe.

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