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Sozialistische Helden

Die Historiker Silke Satjukow und Rainer Gries geben in dem Sammelband „Sozialistische Helden. Eine Kulturgeschichte von Propagandafiguren in Osteuropa und der DDR“ spannende Einblicke in die Entstehung solcher Vorbilder und ihren Nutzen für die Festigung einer sozialistischen Identität auch über den Zusammenbruch der Sowjetunion hinaus. von Vanessa Jasmin Lemke (15.02.2018)

Walentina Tereschkowa wuchs ohne Vater und ohne materiellen Reichtum in einem kleinen russischen Dorf auf. Ihr Ehrgeiz und ihre Neugier sollten sie später zur ersten Frau im Weltraum und zu einer Ikone, einer Heldin nicht nur der Raumfahrt, sondern der sozialistischen Welt machen. Die Historiker Silke Satjukow und Rainer Gries geben in dem Sammelband „Sozialistische Helden. Eine Kulturgeschichte von Propagandafiguren in Osteuropa und der DDR“ spannende Einblicke in die Entstehung solcher Vorbilder und ihren Nutzen für die Festigung einer sozialistischen Identität auch über den Zusammenbruch der Sowjetunion hinaus. 

Helden aus fünf Ländern

Der klare Aufbau des Buches ermöglicht es einem breiten Publikum, die länderübergreifende Entwicklung sozialistischer Helden anhand von Einzel- und Sammelbiografien nachzuvollziehen. Dafür wurden die Fallbeispiele in fünf Kapitel unterteilt, die jeweils mit einem Überblick in die (sozialistische) Geschichte des jeweiligen Landes einführen und die viele Abbildungen enthalten:

Sowjetunion: 
Soja Kosmodemjanskaja (Partisanin im Zweiten Weltkrieg)
Denis Bulachow (Arbeiter, Soldat im Zweiten Weltkrieg)
Juri Gagarin (Kosmonaut)

DDR: 
Ernst Thälmann (Politiker, Widerstand gegen Nationalsozialisten)
Adolf Hennecke (Arbeiter)
Walentina Tereschkowa (Kosmonautin)
Gustav-Adolf Schur (Radrennfahrer)
Sigmund Jähn (Kosmonaut)

Gedenkmünze Ernst Thälmann

in der Objektdatenbank

Autogrammkarte Sigmund Jähn

in der Objektdatenbank

Volksrepublik Polen: 
Arbeitshelden
Karol Świerczewski (General)

Volksrepublik Ungarn: 
Helden der Revolution 1918/19
Imre Muszka (Arbeiter)
Alexej Gussew (Märtyrer)

Tschechoslowakei: 
Julius Fučík (Schriftsteller, Politiker)
Jan Palach (Märtyrer) 

„Vom Ich zum Wir“

Die insgesamt 22 Beiträge zeigen, dass die Helden-Machung fast immer einem bestimmten Muster folgte: Wie bei der Biografie von Tereschkowa, handelt es sich bei den meisten Heldinnen und Helden um gewöhnliche Personen, die aus bescheidenen Verhältnissen stammen und oft Teil der Arbeiterklasse waren. Sie zeigten schon früh besondere Begabungen, verfolgten ehrgeizig und leistungsstark ihre Träume. Dafür wurden sie in vielen Fällen vom Staat gefördert bzw. das Gedenken an sie wurde von ihm beeinflusst. Er nutzte die Bekanntheit der Helden, um bestimmte Vorstellungen eines vorbildlichen sozialistischen Lebens zu propagieren. 

Die Artikel zeigen auch verschiedene Helden-Trends auf, die gesellschaftlichen Stimmungen und Entwicklungen angepasst wurden. So erreichten in den 1930er und 1940er Jahren Kriegshelden und Gegner des Faschismus große Bekanntheit. Nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1950er Jahre wurden im Zuge des (Wieder)Aufbaus Arbeiter immer beliebter. Später sind Kosmonauten sowie nationale historische Figuren genutzt worden. Die Helden aus bzw. in der DDR machen dabei den größten Teil des Buches aus.

„Sozialistische Helden“ ist im Ch. Links-Verlag erschienen und nur noch gebraucht zu erhalten. Obwohl der Sammelband schon 2002 erschien und damalige Bezüge zu Politik, Wirtschaft und Kultur mittlerweile selbst historisch sind, bietet er spannende und vielfältige Einblicke in die Lebenswelten der Menschen aus fünf ehemals sozialistischen Ländern. 

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