Veranstaltung

Der Mensch braucht Wildnis

Dr. Lebrecht Jeschke, der Mitautor des Buches „Naturschutz in Deutschland“, das 2013 im Ch. Links Verlag in Berlin erschienen ist, berichtete in einem Vortrag aus seinem Leben als Naturschützer, insbesondere über die Durchsetzung des Nationalparkprogramms, das die DDR in deutsche Einheit einbrachte.
von Dr. Stefan Wolle (17.12.2017)

Mein Freund, der Baum

 

Die leise Stimme von Dr. Lebrecht Jeschke senkt sich zum Flüsterton als er von den Buchenwäldern schwärmt, die seit dem frühen 18. Jahrhundert keine Säge und keine Axt gesehen haben. Im Schutze der alten Bäume wachsen zarte junge Stämme heran, um eines Tages einen neuen Urwald zu bilden. Für den zierlichen, hellwachen Greis mit den schlohweißen Haaren ist dies ein Sinnbild für das Gesetz der Natur, das nicht auf dem Gegeneinander sondern auf dem Miteinander beruht. Solche Romantiker wünscht man sich mehr in einer Zeit, in der jedes Wochenende in den Gärten die Kreissägen kreischen, die elektrischen Rasenmäher wie Panzer über die Grünanlagen rollen und mit Flammenwerfern der letzte Grashalm aus den Betonfugen vor der Garage gebrannt wird. „Der Mensch braucht Wildnis“ haucht der Gelehrte in den Saal, und es ist klar, dass außerhalb des kleinen Kreises von Naturfreunden niemand diese Botschaft vernehmen wird. 

 

Ein Leben für den Naturschutz

 

Der Vortrag begann mit einem Kompliment für das DDR Museum, was wohl mehr als eine Höflichkeitsgeste war. Wenigstens kam sie von einem Zeitgenossen, der die gesamte DDR-Zeit miterlebt hat. Er wurde 1933 als Sohn einer Bauernfamilie im heutigen Polen geboren. Nach der Flucht aus den Ostgebieten bedeutete die Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone für ihn und seine Familie einen neuen Anfang. Er studierte in Greifswald und promovierte über die Pflanzenwelt im Gebiet der Feldberger Seen. Als 1960 die Kollektivierung begann, flohen seine Eltern in den Westen. Er blieb und wurde zu einem Kadergespräch vorgeladen. Der Kaderleiter erklärte ihm, er würde nicht entlassen werden, aber er hätte in diesem Staat keine Aufstiegschancen mehr. „Das machte mich fortan frei“, meinte Jeschke. Er fand jenseits jeder Karrierehoffnung eine erfüllende Aufgabe als Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Landschaftsforschung und Naturschutz (ILN) in Greifswald. Daneben war er im Kulturbund tätig. Dort fanden Heimatfreunde, Naturschützer, Ortschronisten und andere Enthusiasten gewisse Möglichkeiten für eine Art Vereinsarbeit. Im Rahmen der engen wirtschaftlichen Möglichkeiten wurde Naturschutz in der DDR durchaus ernst genommen. Nach einer Verordnung aus dem Jahr 1961 gab es im Lande 300 Naturschutzgebiete, die durch eine Eule gekennzeichnet waren.

 

Die Umweltbewegung in der Friedlichen Revolution

 

Die Bewegung für Nationalparks, in denen  großflächig Landschaften bewahrt werden sollten, entstand im Herbst 1989. Sie war untrennbar mit der Demokratisierung und Demilitarisierung verbunden. Truppenübungsplätze und Schießanlagen sollten sich in schöne Naturgebiete zurück verwandeln. Bereits am 18. Dezember 1989 lag der Volkskammer, dem Ministerpräsidenten und dem Runden Tisch das Schreiben einer  Müritzer Initiative vor, das detaillierte Arbeitsschritte zur Realisierung eines Nationalparks an der Müritz sowie ein Nationalparkprogramm für besonders schützenswerte Landschaften in folgenden Regionen benennt: Südost-Rügen, Darß-Zingst-Hiddensee, Müritzgebiet, Spreewald, Mittelelbegebiet, Elbsandsteingebirge, Eichsfeld, Rhön. Damit waren bereits 8 der 14 später im Einigungsvertrag gesicherten Flächen benannt. Ende Januar 1990 lag eine erste Fassung des Nationalparkprogramms vor. Es schlug die Kategorien Nationalpark, Biosphärenreservat und Naturschutzpark vor. Der Runde Tisch billigte am 5. Februar 1990 den Entwurf und forderte die Regierung auf, die Mittel bereit zu stellen. Am 16. März 1990 bestätigte der Ministerrat der DDR  eine Beschlussvorlage für das Nationalparkprogramm, das 6 Biosphärenreservate, 5 Nationalparke und 12 Naturschutzparks umfasste.

 

Nationalparks als Vermächtnis der DDR

 

In der letzten Sitzung des Ministerrats, am 12. September 1990, wurden schließlich im Rahmen des Nationalparkprogramms sechs Biosphärenreservate, fünf Nationalparks und drei Naturparks gesichert. Am 18. September 1990 unterzeichneten Wolfgang Schäuble für die BRD und Günther Krause für die DDR eine „Zusatzvereinbarung“ zum Einigungsvertrag, mit der die vom Ministerrat beschlossenen Verordnungen zum Nationalparkprogramm bestätigt wurden. Die Verordnungen waren am 1. Oktober 1989, zwei Tage vor Vollzug der deutschen Einheit, die letzten in der DDR erlassenen Gesetze. Sie wurden damit auch zu geltendem bundesrepublikanischen Recht. „Innerhalb von zehn Monaten war damit in der Fläche mehr für den Naturschutz in Deutschland erreicht, als staatliche und private Naturschutzbemühungen in den 100 Jahren zuvor gemeinsam erreicht hatten.“, meinte Lebrecht Jeschke in der anschließenden Diskussion. Er selbst war von  1991 bis 1998 Direktor des Landesnationalparkamtes Mecklenburg-Vorpommern. Sein Blick auf die Zukunft ist trotz aller Schwierigkeiten optimistisch.  Vielleicht liegt das an dem in der Naturschutzgeschichte einmaligen Handstreich vom Oktober 1990, an dem er maßgeblichen Anteil hatte.

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