Was bleibt von der DDR?

Das Neue Stadthaus

Es gibt im Zentrum Berlins kaum eine Straßenecke, die nicht voller Geschichten steckt. Geht man am Alten Stadthaus, dem früheren Sitz der DDR-Regierung, links vorbei, kommt man zur Parochialstraße. Rechts erhebt sich die Kalksteinfassade des Alten Stadthauses, links ein gesichtsloser Bürobau – das Neue Stadthaus. Ausgerechnet hier haben sich 1948 dramatische Ereignisse abgespielt.
von Dr. Stefan Wolle (06.12.2017)

4-Sektoren-Stadt

Um die Dramatik der Vorgänge im Spätsommer 1948 zu verstehen, muss man etwas genauer auf die Situation Berlins nach dem Krieg eingehen. Die ehemalige Reichshauptstadt war in vier Sektoren geteilt, befand sich aber unter gemeinsamer Verantwortung der Siegermächte – der Sowjetunion, der USA, Großbritannien und Frankreichs. Unter alliierter Aufsicht fanden am 20. Oktober 1946 in ganz Berlin die ersten freien Wahlen nach dem Kriegsende statt. Die SED musste sich mit 19,8 % begnügen, die SPD verfehlte mit 48,7 % die absolute Mehrheit nur knapp. Einige Zeit später wurde der SPD-Politiker Ernst Reuter Oberbürgermeister. 

Währungsreform und Luftbrücke

Für die SED und ihre sowjetische Schutzmacht war diese Wahlschlappe kein Grund, ihr Streben nach absoluter Macht aufzugeben. Die Übernahme der neuen D-Mark in den drei westlichen Sektoren von Berlin bot der Sowjetunion den Vorwand, Westberlin von jeglicher Versorgung abzuschneiden. Seit dem 24. Juni 1948 war der gesamte Personen- und Güterverkehr auf dem Landweg zwischen Westberlin und den Westzonen unterbrochen. Das Ziel war, die Westmächte zum Rückzug aus Berlin zu zwingen. Die Amerikaner beschlossen in dieser Situation, Berlin über eine Luftbrücke zu versorgen.

Die Teilung Berlins beginnt

Die Berliner Stadtverordnetenversammlung war formal immer noch das gemeinsame legislative Organ, der vom Kalten Krieg zerrissenen Stadt. Ihr Tagungsort aber lag im Sowjetischen Sektor – nämlich im Neuen Stadthaus in der Parochialstraße. Da von der SED bestellte Demonstranten die Zufahrten blockierten, verabschiedete das Stadtparlament ein Bannmeilengesetz zum Schutz der freien Arbeit des Parlaments. Die Ostberliner Polizei ignoriert dieses Gesetz. Am 26.08.1948 blockieren SED-Anhänger erneut den Sitzungssaal. Am folgenden Tag wird die Sitzung zwar eröffnet, doch anschließend stürmen kommunistische Demonstranten den Saal und erklären die Veranstaltung zu einer »öffentlichen Versammlung der Arbeiterklasse«.

Krawall statt parlamentarischer Arbeit

In dieser Situation beruft der Parlamentspräsident Otto Suhr für den Mittag des 6. September 1948 erneut eine Sitzung der Stadtverordnetenversammlung in das Neue Stadthaus ein. Schon am Vormittag verschaffen sich Demonstranten mit Gewalt Einlass in das Gebäude, ohne dass die Polizei eingreift. Die Eindringlinge hindern zum wiederholten Male die Stadtverordneten am Betreten des Tagungsortes. Magistratsordner werden überwältigt, Vertreter westlicher Zeitungen und Rundfunkreporter tätlich angegriffen und an ihrer Arbeit gehindert. Suhr vertagt daraufhin die Sitzung und beruft sie für den frühen Abend in das Studentenhaus am Steinplatz im Britischen Sektor ein. Die Abgeordneten der SED erscheinen nicht und boykottieren fortan die Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung. Damit endete am 6. September 1948 für 42 Jahre die gemeinsame parlamentarische Arbeit in Berlin.

Heute befindet sich das Standesamt des Bezirks Mitte in dem Gebäude. Im Eingangsbereich erinnert eine Informationstafel an die Ereignisse, die im Jahre 1948 die Weichen in Richtung einer Spaltung Berlins stellten.

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