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Christian Sachse: Verschleierte Zwangsarbeit für westliche Firmen

Christian Sachse befasst sich mit der Zwangsarbeit in der DDR und wie diese vom Staat und der SED verschleiert wurde. Dennoch weist er auch auf die Lücken in der Geheimhaltung hin und untersucht, inwieweit die profitierenden westlichen Firmen von der Herstellung ihrer Erzeugnisse durch Häftlinge wissen konnten. (09.03.2017)

Christian Sachse: Verschleierte Zwangsarbeit für westliche Firmen, in: http://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/stasi/234183/zwangsarbeit?type=galerie&show=image&i=234651, abgerufen am 30.11.2016.

Christian Sachse ist Politikwissenschaftler und Theologe und lebt als freier Publizist in Berlin. Bis 1990 war er Pfarrer in Torgau und Gründungsmitglied des oppositionellen Netzwerkes Arbeitskreis Solidarische Kirche. Bereits mit seiner Promotion setzte er seinen Schwerpunkt auf die DDR-Geschichte, die er zur politischen Wehrerziehung in der DDR schrieb. Weitere Schwerpunkte bilden die Biografie Gottfried Forcks, DDR-Spezialheime und Jugendwerkhöfe sowie Zwangsarbeit in der DDR.

Die Zwangsarbeit wird hierbei als Arbeitspflicht verstanden, die unter Androhung von Strafen erzwungen wurde. Die SED konnte jeden Häftling zum Arbeiten zwingen, substanzielle Einschränkungen gab es dabei keine. Besonders ist dabei außerdem, dass zwar gesetzlich vorgesehen war, die Arbeit als Resozialisierungsmaßnahme zu verstehen, doch sie diente vordergründig wirtschaftlichen Interessen und war als Wirtschaftsfaktor sogar im Staatshaushaltsplan eingeplant.

Zwar gibt es auch in der Bundesrepublik heute eine Arbeitspflicht der Häftlinge, doch aus bestimmten Gründen kann der Arbeitseinsatz verweigert werden. Wer diese Gründe nicht vorweisen kann und dennoch nicht arbeiten möchte, wird an den Haftkosten beteiligt. Der Staat ist in seiner Gewalt gegenüber den Häftlingen somit eingeschränkt.

In der DDR mussten Strafgefangene Zwangsarbeit ableisten, die auch der Gestattungsproduktion westlicher Konzerne zugute kam. Zwar hatte die SED aus vielen Gründen kein Interesse daran, dass dies publik würde, dennoch konnte auch das MfS den Diskurs nicht gänzlich unterbinden.

Laut des Autors leisteten Strafgefangene in der DDR Zwangsarbeit, auch um Exportgüter insbesondere für den Westen herzustellen. Offiziell gab es in der DDR keine Zwangsarbeit, sondern lediglich eine „Arbeitserziehung“ der Gefangenen, da es dem marxistisch-leninistischen Weltbild widersprach. Dieses ging davon aus, dass der „sozialistische Mensch“ sich freiwillig und unter maximalem Einsatz dem Aufbau der neuen Gesellschaft verpflichtet fühlte.

Die Stasi-Unterlagen-Behörde schätzt, dass im deutsch-deutschen Handel jährlich mindestens 200 Millionen DM mit Waren umgesetzt wurden, die von Häftlingen erzeugt wurden. Meistens kannten weder die Häftlinge die Abnehmer ihrer Erzeugnisse noch die Abnehmer die Bedingungen unter welchen die Export-Güter gefertigt wurden. Doch viele Abnehmer sahen auch einfach davon ab, sich über die Produktstrecken genauer zu informieren. Die Staatssicherheit half dabei, diese zu verschleiern, doch die Geheimhaltung war sehr viel umfassender.

Der wichtigste Grund der Verschleierung war es, die Handelsbeziehungen zu Westdeutschland aufrechtzuerhalten, die auf dem westdeutschen Wohlwollen aufbauten. Denn die DDR verfügte nicht über Produkte hoher Qualität sondern lediglich über Waren des umkämpften Sektors billiger Massenartikel und Halbfertigprodukte. Würde die Zwangsarbeit an die Öffentlichkeit dringen, wäre das für den Absatz der Waren schädigend gewesen.

Um von der Öffentlichkeit unbeachtet Häftlinge einsetzen zu können, unterlag das eingesetzte Wach- und Arbeitspersonal der absoluten Schweigepflicht. Die Häftlinge waren von den zivilen Arbeitern zumeist hermetisch abgeriegelt, wenn möglich wurden unsichtbare Produktionsstätten auf dem Gebiet der Haftanstalten errichtet. Das zivile Personal, das die Produktion überwachte, war außerdem von der Stasi nach besonderen Kriterien ausgewählt worden und wurde zusätzlich überwacht. Häftlinge, die vom Westen freigekauft werden sollten, wurden unter Druck dazu angehalten, über ihre Haftbedingungen nicht zu sprechen.

Es wurde vermieden, dem westlichen Ausland Einblicke in die DDR-Wirtschaft zu gewähren. Westliche Unternehmen hatten nie direkten Kontakt mit den Herstellerbetrieben in der DDR, sondern nur mit Zwischenhändlern, die das Außenhandelsmonopol des Staates repräsentierten. Häufig waren Zwischenhändler sogar direkt in der Bundesrepublik angesiedelt, teilweise waren an den Firmen dann die DDR oder das MfS verdeckt beteiligt. Die Import-Export-Wege wurden außerdem von der Stasi überwacht, damit keine Informationen an die Öffentlichkeit drangen.

Zwar war auf dem direkten Weg kaum etwas über die Thematik der Zwangsarbeit zu erfahren. Doch immer wieder drangen dennoch Informationen zu den westlichen Firmen durch. So teilte ein ehemaliger Häftling 1988 der Firma Beroflex mit, dass Häftlinge an der Herstellung ihrer Pentacon-Kameras beteiligt seien, woraufhin diese dem DDR-Betrieb Jenoptik lediglich mitteilte, dass sie nicht vorhätte, dazu Stellung zu nehmen. Die Information gelangte von dort aus zur Staatssicherheit, die gegen den ehemaligen Häftling als Staatsfeind Schritte einleitete.

Auch die Ostbüros der Handelspartner waren von Inoffiziellen Mitarbeitern durchdrungen. Im Ostberliner Internationalen Handelszentrum waren Büros der Westkonzerne, die durch das Dienstleistungsamt für ausländische Vertretungen, das mit der Stasi eng zusammenarbeitete, mit weiteren Mitarbeitern ausgestattet wurden. Dies schaffte Möglichkeiten den Informationsfluss und überwachen und zu steuern, der bis dahin reichte, private Kontakte der ausländischen Mitarbeiter zu überwachen. Hinzu kamen die Informationen des MfS aus der Produktion, den vermittelnden Außenhandelsbetrieben und illegalen Eigentümerschaften westlicher Firmen, die zusammen eine weite Einflusssphäre bildeten.

Der wohl bekannteste Fall der Verwicklung in die DDR-Zwangsarbeit ist wohl zurzeit IKEA. Die zum großen Teil DDR-Mitarbeiter des IKEA-Büros in der DDR sowie die Stasi waren über die Bedenken des schwedischen Büroleiters in Kenntnis, der von der Zwangsarbeit in der DDR-IKEA-Produktion erfahren hatte. Man versicherte ihm beim vermittelnden Außenhandelsbetrieb, dass keine Ware, die von Häftlingen erzeugt wurde, mehr an IKEA geliefert würde, und auch im Büro beschwichtigten die DDR-Mitarbeiter. Gemeinsam sorgte man für die Vertuschung des Vorkommnisses, um den politischen Affront zu verhindern.

Doch trotz der Geheimhaltung und Vertuschung hatte Amnesty International bereits 1967 eine Informationsschrift zur Zwangsarbeit in der DDR publiziert. tausende Briefe von Menschenrechtsorganisationen wurden an die DDR-Regierung über die Zustände in den DDR-Haftanstalten geschickt. Sachse schließt deshalb damit, dass wer in der Bundesrepublik tatsächlich etwas über die Problematik der Zwangsarbeit in der DDR erfahren wollte, dies durchaus konnte, aber eben vielleicht nicht wollte...

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