Architektur

Berlin – die sozialistische Stadt

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren mehr als 30% des Wohnungsbestandes, 85% der Schulräume und 80% der Krankenhausplätze in Berlin zerstört. Was sollte nun aus den Trümmern der Hauptstadt entstehen? Die SED Regierung sah eine Gelegenheit, die städtische Wiedergeburt einer neuen Deutsche Demokratische Republik einzubringen. von Praktikant (20.04.2017)

Berlin – die sozialistische Stadt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren mehr als 30% des Wohnungsbestandes, 85% der Schulräume und 80% der Krankenhausplätze in Berlin zerstört. Was sollte nun aus den Trümmern der Hauptstadt entstehen? Die SED Regierung sah eine Gelegenheit, die städtische Wiedergeburt einer neuen Deutsche Demokratische Republik einzubringen. Berlin sollte als Modellstadt der DDR dienen und wurde der Ort der ersten Versuche einer sozialistischen Baupolitik. Die neuen Baurichtlinien waren nicht nur von wirtschaftlichen Gründen geprägt sondern auch von politischen und sozialen Herausforderungen. 

Anders formuliert, sollte die Architektur in Berlin und allen anderen Städten Ostdeutschlands Werte der Gleichheit, Kollektivität und Offenheit symbolisieren, um den Weg zu einer sozialistischen Gesellschaft zu unterstützen.

Wirtschaftliche Richtlinien in der Stadtplanung

„Wir haben keine Zeit für Spielereien. Wir haben nur eine Aufgabe: Wohnungen für unsere Werktätigen zu bauen, so viele, so schnell, so billig wie möglich. Halten Sie sich das immer vor Augen“, verlangt der Stadtarchitekt in Reimanns Roman "Franziska Linkerhand" und trifft damit den Kern der sozialistischen Baupolitik (Dörhöfer, 1994, S. 121)

Die sozialistische Baupolitik der Nachkriegszeit hatte die primäre Aufgabe, alle Bürger der DDR mit einer Wohnung zu versorgen. Dadurch entstand ein rationales Bauwirtschaftsmodell, das diese Erwartungen erfüllen sollte. Methoden wie die Industrialisierung des Bauwesens und die Automatisierung des Bauvorgangs wurden eingeführt, um Kosten zu senken. Ein weiteres Beispiel sind die Massenbauprogramme wie etwa im Siebenjahrplan, der die Fertigung von 772.000 Wohnungen zwischen 1959 und 1965 vorsah (Zinsmeister, 2002). Diese „Plattenbauten“ sollten nicht nur kostsparend sein, sondern auch dem Gleichheitsprinzip, einem Wesensmerkmal des Sozialismus, entsprechen. 

Neben dem Wunsch nach Kostreduzierung spielte auch die Idee des „Zweckbaus“ eine Rolle. Tatsächlich sollten Städte „von der Industrie, für die Industrie“ (Schriftenreihe der Akademie der Künste, 1995, S.210-211) gebaut werden. Das hieß, auf verzierende Architekturteile wurde häufig verzichtet, außer wenn sie einen präzisen Zweck verfolgten. Deshalb war kaum Raum in der Stadtlandschaft für die Kreativität der Architekten.  

Diese bauliche Monotonie und Eindimensionalität wurde von derzeitigen Architekten und Einwohnern stark kritisiert, auch wenn der Plattenbau zuerst als Synonym für Komfort und Behaglichkeit galt.

Berlin als Vorbild der sozialistischen Stadt

Die „Sechzehn Grundsätze des Städtebaues“ (Schriftenreihe der Akademie der Künste, 1995, S.210-211), die am 27. Juli 1950 erschienen, formulierten die Ziele sowie die Form der idealen sozialistischen Stadt. Hier wird der Zusammenhang zwischen Architektur und Machtpolitik noch einmal deutlich: Die Stadt sollte der Ausdruck des politischen Lebens sein: nichts wurde dem Zufall überlassen.   

Ein Beispiel dafür ist die Stalinallee, die heutige Karl-Marx-Allee, die sich vom Alexanderplatz drei Kilometer weit Richtung Osten erstreckt. Dank ihrer zentralen Lage und der starken Zerstörung durch den Krieg wurde sie ausgewählt, „die erste sozialistische Straße auf deutschem Boden“ (http://www.luise-berlin.de/bms/bmstxt01/0103prof.htm) zu sein. Ihre enorme Breite und günstige Lage boten ideale Bedingungen für Demonstrationen, Aufmärsche und Volksfeiern: sie konnte das Gemeinschaftsleben der DDR-Bürger fördern. Außerdem wurde hier nach dem Krieg begonnen, die „Wohnzelle Friedrichshain“, der erste Wohnkomplex im Osten der Stadt, zu errichten.

Die Stalinallee entsprach mit ihren Prunkbauten nicht nur den sozialistischen Träumen von damals, sie hatte auch eine andere Funktion: sie stellte das Gegenbild zur imperialistischen Welt dar. Architektur wurde auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs als Mittel der Propaganda benutzt, auch wenn die architektonischen Richtlinien im Westen nicht so explizit festgeschrieben wurden. Einerseits versuchte Westberlin sich als das Schaufenster der Freiheit und des Konsums zu inszenieren. Anderseits stellte sich Ostberlin als Vorbild für Gleichheit und Kollektivität dar. Symbole des Imperialismus sollten deshalb aus der Hauptstadt der DDR verschwinden. Deswegen wurde das Stadtschloss abgerissen, weil es nach Meinung der Partei für das feudalistische Deutschland stand. 

Offene Lebenswelt

Das Aussehen und die Struktur der Stadtlandschaft sollten zu einer sozialistischen Lebensweise passen und diese fördern. Noch wichtiger war dafür die Innengestaltung der Wohnungen. Die SED erkannte die Bedeutung des privaten Wohnraums, um mit diesem zur Ausbreitung von sozialistischen Werten beizutragen. Dass der Sozialismus auch versuchte, das Private zu beeinflussen, zeigt, welche Mühen die SED-Regierung aufwandte, ihre Bürger langfristig und unbewusst zu erziehen. 

Die Innendekoration sollte gesunde und ruhige Lebensverhältnisse schaffen. Die offene Bauweise, wurde gegenüber der Hofbebauung bevorzugt, weil sie die Annäherung der Klassen und Schichten fördern würde. Das Motto „Funktionalität, Schönheit, Behaglichkeit“ (Dörhöfer, 1994, S.109) wurde in fast jedem Haushalt (zwangsläufig) umgesetzt und spiegelte die herrschende Zweckmentalität der Partei wider. 

Die Innengestaltung von öffentlichen Gebäuden war außerdem ein zentrales Element der Vermittlung der herrschenden Ideologie. Wandbilder wie „am Haus des Lehrers“ von Womacka, „Triumph des Todes“ oder „Unser die Welt – trotz alledem“ von Ronald Paris gehörten zu den meistgesehenen Gemälden der DDR: Letzteres wurde im Palast der Republik ausgestellt. 

Die SED hatte schnell erkannt, dass Kunst als Form der Vermittlung der Realität nutzbar und demnach ein wirksames Propagandamittel war.

Anschließend ist anzumerken, dass jede Regierung versucht, ihre politischen Werte zu verbreiten und eine Spur in der Stadtlandschaft zu hinterlassen. Je undemokratischer eine Regierung ist, desto häufiger wird auch Architektur als Propagandamittel verwendet. Auch wenn manche Spuren der vorherigen Regierungen aus politischen Gründen verwischt wurden, sind sie noch zu finden. Das Ergebnis ist eine schöne aber auch chaotische architektonische Mischung, die das heutige Berlin so vielseitig macht.  

 

Julia van Duijvenvoorde

 

Quelleangaben:

http://www.luise-berlin.de/bms/bmstxt01/0103prof.htm, abgerufen am 20. April 2017.

http://www.stadtentwicklung.berlin.de/denkmal/liste_karte_datenbank/de/denkmaldatenbank/daobj.php?obj_dok_nr=09085177, abgerufen am 20. April 2017.

Annett Zinsmeister (Hg.): „Plattenbau oder Die Kunst, Utopie im Baukasten zu warten“, Vice Versa Distribution, 2002, S. 55-59.

Kerstin Dörhöfer (Hg.): „Wohnkultur und Plattenbau, Beispiele von Berlin und Budapest“, Dietrich Reimer Verlag Berlin, 1994.

Schriftreihe der Akademie der Künste Band 23: „1945: Krieg, Zerstörung, Aufbau. Architektur und Stadtplanung 1940-1960“, Henschel Verlag, 1995, S. 195-235.

„Ronald Paris, Lob des Realismus, Retrospektive 2008“, Faber&Faber, 2008, S. 7-19.

Bilder:

By Jörg Zägel (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0) or GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html)], via Wikimedia Commons

By Berit from Redhill/Surrey, UK (Karl Marx Allee, Berlin, Germany) [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons

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