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Wie das Ende begann - Die Massenflucht aus der DDR 1989

Am Sonntag nächster Woche jährt sich der Tag des Mauerfalls zum 25. Mal. Die Vorboten auf dieses historische Jubiläum sind überall zu sehen und zu hören. Ähnlich war es auch vor 25 Jahren. Zwar hatte wohl niemand damit gerechnet, wie schnell sich der Eiserne Vorhang dann tatsächlich teilen würde, doch waren die Vorzeichen einer sich ankündigenden Revolution schon erkennbar. (28.10.2014)

Am Sonntag nächster Woche jährt sich der Tag des Mauerfalls zum 25. Mal. Die Vorboten auf dieses historische Jubiläum sind überall zu sehen und zu hören. Ähnlich war es auch vor 25 Jahren. Zwar hatte wohl niemand damit gerechnet, wie schnell sich der Eiserne Vorhang dann tatsächlich teilen würde, doch waren die Vorzeichen einer sich ankündigenden Revolution schon erkennbar. Dass eine Massenflucht von Staatsbürgern der DDR allerdings noch im Herbst 1989 eine schnelle Wiedervereinigung des seit 1945 geteilten Deutschlands einleiten würde, konnte sich Mitte des Jahres wohl kaum jemand vorstellen. Das Buch "Wie das Ende begann" aus unserer Bibliothek ist eine Chronik der Ereignisse um die Fluchtbewegung ab August 1989, bis hin zu den Massenfluchten aus Ungarn, der Tschechoslowakei und Polen.

Die Grundlage des Buches bilden persönliche Notizen und Aufzeichnungen vom Autor Gerhard Meyr, seines Zeichens damaliger Grenzschutzbeamter beim Grenzschutzkommando Süd in München, der neben vielen anderen Sonderaufgaben im Herbst 1989 der Leiter des gesamten Transportwesens für die DDR-Flüchtlinge war. Minutiös und tagebuchartig beschreibt er die Geschehnisse, beginnend am 26. August 1989. An diesem Tag wurde er "Aus heiterem Himmel" - so auch der Titel des ersten Kapitels - zu einer großen Besprechung beordert. Dort wurde darüber informiert, dass das Bundesministerium des Inneren (BMI) die beiden südlichen Grenzschutzkommandos (GSK) mit einem geheim gehaltenen Auftrag fernmündlich alarmiert hatte. Der Auftrag beinhaltete die Einrichtung eines Sonderstabes durch GSK Süd und sein Wortlaut löste erst atemlose Stille, dann ungläubiges Stauen aus: "Es ist mit einer Massenflucht unbekannten Ausmaßes von Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik über Ungarn in die Bundesrepublik Deutschland zu rechnen. Der Bundesgrenzschutz richtet sich darauf ein

- Die Unterbringung und die Versorgung sicherzustellen
- Die DDR-Flüchtliche an der Landesgrenze aufzunehmen
- Die Durchführung der Erstaufnahmeverfahren zu unterstützen

- Und den Weitertransport in Aufnahmelager der Bundesländer zu organisieren."

(vgl. S. 11/12). Eine Mammutaufgabe, deren Dimension zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht richtig fassbar war.

Einige Wochen zuvor, am 28. Juni 1989, hatten die beiden Außenminister Österreichs und Ungarns, Alois Mock und Gyula Horn, demonstrativ den Eisernen Vorhang mit Bolzenschneidern zerschnitten. Das war der eigentliche Beginn einer neuen, politischen Dimension im Verhältnis der Staaten zwischen Ost und West, wenn auch die tatsächlichen Auswirkungen noch nicht abschätzbar waren.

Erst mit der Alarmierung am 26. August und der damit verbundenen Zusammenführung der Informationen aller beteiligten staatlichen Organisationen, begann man das Ausmaß und die möglichen Konsequenzen zu begreifen. Denn plötzlich wurde klar, dass über diese "grüne Grenze" von Ungarn nach Österreich in wenigen Wochen vom 10. Juli bis 24. August bereits 3.914 DDR-Bürger geflüchtet waren. Und weiter flüchteten, täglich zwischen 300 und 600!

Am 27. August dann wurde der zu erwartenden Flüchtlingsstrom in eine unvorstellbare Dimension gerückt: In Ungarn hielten sich derzeit etwa 150.000 bis 200.000 DDR-Bürger als Urlauber auf. Die Schulferien in der DDR würden am 1. September enden. Und für genau diesen Zeitpunkt deutete die Ungarische Regierung nun an, den Visa-Zwang für DDR-Bürger aufzuheben. Und so geschieht es. Was nun in Ungarn folgt, geht um die Welt: Menschenmassen, die in der Botschaft der BRD in Ungarn ausharren, bis am 11. September "Der Damm bricht" (Titel 10. Kapitel) und Ungarn die Entscheidung fällt, einzelne Vereinbarungen aus dem Jahr 1969 mit der DDR außer Kraft zu setzen und damit die Massenausreise praktisch zu genehmigen. Was allerdings 'hinter den Kulissen' geschieht, wie diese logistische und organisatorische Meisterleistung von Transport, Unterbringung, Versorgung usw. der tausenden Flüchtlinge auf die Beine gestellt wurde, das beschreibt Gerhard Meyr in seinem Buch.

"Wie das Ende begann", 2004 im Eigenverlag Berta Huttner erschienen, beschreibt chronologisch, detailliert und anschaulich, wie dieser organisatorische Kraftakt überhaupt realisiert werden konnte, von den ersten Überlegungen an zu einem Zeitpunkt, als das tatsächliche Ausmaß nicht im geringsten abschätzbar war. Begleitend findet der Leser zahllose Fotos und Abbildungen von Originaldokumenten, sowie jeder Menge präziser Daten und Zahlen. Vorworte zu dem Buch haben sowohl Hans-Dietrich Genscher als auch Erhard Jauck beigesteuert. Zum Abschluss findet der Leser eine Autobiografische Schlussbetrachtung, die neben vielen anderen Aspekten auch deswegen spannend ist, weil sie die erste Zusammenführung von Behörden und damit von Mitarbeitern aus Ost und West beschreibt, die Unsicherheiten auf beiden Seiten, das Anpassen der bisher unterschiedlichen Handhabung verschiedener Probleme und vielem mehr.

 

Das Grenzschutzkommando Süd in München hat in beispielhafter und reibungsloser Zusammenarbeit in der Zeit vom 10. Juli bis zum 22. November 1989 zusammen mit dem Bayrischen Roten Kreuz, der Bundesbahn, der Bundespost, der Bundeswehr, dem THW, der Bayrischen Grenz- und Bereitschaftspolizei, dem ADAC und vielen kommunalen Behörden

145.070 DDR-Bürger

gelenkt, transportiert, aufgenommen, untergebracht, verpflegt, versorgt, registriert und weitergeleitet. Es kamen

Über Ungarn                     57.230
Über die CSSR                   76.453
Über Polen                           1.778
direkt aus der DDR               9.609

(vgl. S. 114)

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