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Der 18. März 1990: erste freie Volkskammerwahl

Gernot Jochheim: Der 18. März 1990: erste freie Volkskammerwahl, in: Informationen zur politischen Bildung aktuell, Nr. 24/2014, 20.11.2014, http://www.bpb.de/izpb/195467/18-maerz-1990?p=all, abgerufen am 02.12.15.
(03.12.2015)

Gernot Jochheim: Der 18. März 1990: erste freie Volkskammerwahl, in: Informationen zur politischen Bildung aktuell, Nr. 24/2014, 20.11.2014, http://www.bpb.de/izpb/195467/18-maerz-1990?p=all, abgerufen am 02.12.15.

Gernot Jochheim war in Berlin als Lehrer tätig und verfasste zahlreiche Lernmaterialien zur politischen und soziohistorischen Bildung. Des Weiteren arbeitete er zu Sozialgeschichte der Gewaltfreiheit und gestaltete Projekte zur schulischen Gewaltprävention.

In seinem Aufsatz für die Bundeszentrale für politische Bildung beschäftigt sich Jochheim mit der ersten freien Volkskammerwahl sowie ihren Bedingungen und Folgen.

Die DDR-Verfassung von 1968 schrieb den politischen Führungsanspruch der SED fest. Dies war ganz im Sinne des von Lenin formulierten Herrschaftssystems unter der „Vorhut des Proletariats“. Nach seiner Auffassung formierte sich diese Vorhut aus der kommunistischen oder sozialistischen Partei. In der DDR entstand bereits seit 1949 eine Erziehungsdiktatur, die die Menschen ideologisch beeinflussen sollte. Hierfür gab es unterschiedliche Mechanismen zur Stabilisierung der Herrschaft, die aus Konsenszwängen und Gewalt bestanden. Zum einen erfolgte die Stabilisierung durch die Staatssicherheit, zum anderen durch das regelmäßige Einfordern der ideologischen Zustimmung durch Anlässe wie beispielsweise Wahlen.

Insbesondere in den 1980er Jahren entstanden allerdings oppositionelle Gruppen, die nicht nur das SED-Herrschaftssystem anprangerten, sondern Friedensfragen, Umweltzerstörung, den infrastrukturellen Verfall und die eingeschränkten Reise- und Ausreisemöglichkeiten thematisierten. Die Anstrengungen der oppositionellen Gruppen gewannen immer mehr Aufmerksamkeit, auch durch die westliche Berichterstattung. Gorbatschows Erklärung 1988, dass jeder Staat des Warschauer Paktes selbst über die inneren Angelegenheiten entscheiden dürfe, ließ den inneren wie äußeren Rückhalt der SED weiter schwinden.

Im Mai 1989 wurden erstmals Kommunalwahlen durch Oppositionelle kritisch verfolgt, jedoch verfuhr die Partei in gewohnter Weise und feierte die Zustimmung zur Einheitsliste mit 98,85 Prozent. Die Bürgerrechtler konnten die Wahlfälschung glaubwürdig nachweisen. Daraufhin setzte ein verstärkter Delegitimierungsprozess ein, Menschen flohen über die Grenze in Ungarn und über bundesdeutsche Botschaften, in Leipzig sammelten sich jeden Montag mehr Demonstranten zum gewaltfreien Aufstand.

Landesweit formierten sich außerdem demokratische Sammlungsbewegungen wie das Neue Forum, die den oppositionellen Gruppierungen Organisationsstrukturen verliehen und als Vorstufen für Parteien angesehen werden können. Sie fanden sich am Runden Tisch mit der umbenannten PDS, Partei des Demokratischen Sozialismus, im Dezember 1989 zusammen.

Der Zentrale Runde Tisch beschloss nicht nur die Auflösung der Staatssicherheit, sondern auch  den Termin für die ersten freien Volkskammerwahlen am 18. März 1990. Bei allen vorangegangenen Wahlen hatten die Wahlberechtigten lediglich die Möglichkeit, begleitet von öffentlicher Kontrolle und Zwang, einer Einheitsliste zuzustimmen, eine Ablehnung war nur theoretisch möglich. Zur Wahl am 18. März waren nach westlichem beziehungsweise bundesdeutschem Vorbild politische Parteien und unabhängige Wählervereinigungen gegründet worden. Dadurch, dass auf eine Sperrklausel verzichtet wurde, konnten auch kleine Parteien ins Parlament einziehen. Die Wahl entschied sich allerdings zwischen der SPD und der „Allianz für Deutschland“ aus Demokratischem Aufbruch, CDU und Deutsche Soziale Union. Die Frage nach dem Weg zur deutschen Einheit formte das Hauptthema des Wahlkampfes. Diejenigen Parteien, wie PDS oder auch Teile der DDR-Bürgerrechtler, die für eine stärkere Eigenständigkeit der DDR eintraten oder gar eine reformierte sozialistische DDR anstrebten gewannen bei dieser Wahl keine Mehrheiten. Die Wahl war somit auch ein deutliches Votum für den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik, obwohl auch Kohl in seinem 10-Punkte-Programm die Möglichkeit einer „Vertragsgemeinschaft“ der beiden deutschen Staaten und eine eventuell längerfristige Einigung im Rahmen einer Vereinigung Europas ansprach.

Des Weiteren geht der Aufsatz auch auf die große Bedeutung der Frauen in der Friedlichen Revolution ein, die in vielen Teilen der Oppositionsbewegung zum tragenden Motor des Aufbegehrens wurden. Man denke nur an Bärbel Bohley oder Ulrike Poppe. Jochheim würdigt hierbei aber auch das gesamte bürgerrechtliche Engagement, das Repression sowie materielle Einbußen und existenzielle Verunsicherungen mitsichbrachte und somit den Einzelpersonen großen Mut abverlangte.

Zuletzt zieht der Autor ein Fazit zum Vereinigungsprozess. So zeigt er, dass das Staatsziel der Vollendung der „Einheit und Freiheit Deutschlands“ erreicht wurde. Gleichzeitig weist er auch auf die internationalen Ängste einer neuen deutschen Weltmacht hin, denen im Europa-Artikel von Ende 1992 Rechnung getragen wurde. In ihm verschrieb sich Deutschland der Schaffung eines vereinten Europas, der Einhaltung der Grundrechte und der Subsidiarität. Der neue Art. 23 des Grundgesetzes von 2002 bot zudem eine Ermächtigungsgrundlage zur Übertragung von Hoheitsrechten an die Europäische Union.

Bild: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0318-022

 

 


 

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