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Heinz Schneider: Die Normalität des Absurden

„Die Normalität des Absurden“ erzählt die Geschichte von Heinz Schneider, der in zwei deutschen Diktaturen gelebt hat. Auch wenn das Buch sich exklusiv auf sein persönliches Leben bezieht, werden viele allgemeine Fragen gestellt: Wie soll man sich in einer Diktatur verhalten? Wie entsteht unsere Identität? Wie soll man die DDR darstellen? (30.03.2017)

Heinz Schneider wurde 1934 im Sudetenland geboren und hat zwei deutsche Diktaturen erlebt. Mit 77 Jahren veröffentlichte er seine Autobiographie und zeigt damit, inwieweit es möglich war, ein „normales Leben“ unter den absurden Bedingungen einer Diktatur zu führen. Seine Kindheit, sein Studium und seine Karriere als Chefarzt werden dabei mit einer fast wissenschaftlichen Genauigkeit beschrieben und analysiert. Einerseits blickt er als Rentner auf das Leben in der DDR mit großer Sachlichkeit zurück. Dieser Standpunkt wird mit Hilfe von Stasi-Akten untermauert.  Anderseits kann man seine Enttäuschung über das ehemalige System deutlich spüren. Dies wird durch Briefe, die im Buch zitiert werden, illustriert.

 

Ideologische Gehirnwäsche

Heinz Schneider ist während der Nationalsozialistischen Diktatur aufgewachsen, aber er gehörte nicht zu den sozialen Gruppen, die unter diesem Regime direkt gelitten haben. Deswegen beschreibt er diese absurden Zeiten als fast „normal“ und war sich der Fehler dieses Systems laut eigener Aussage nicht bewusst. Er war mit 5 Jahren viel zu jung, ein politisches Bewusstsein zu entwickeln. Zudem wurde er auch von dem nationalsozialistischen Schulsystem beeinflusst.  Die deutsche Bevölkerung des Sudentengebietes stand seit 1938 in ihrer Mehrheit auf Seiten Hitler-Deutschlands. Auch wenn die ersten Kapitel nur aus sehr frühen Kindheitserinnerungen bestehen, sind sie sehr aufschlussreich. Sie zeigen wie einfach es ist, Kinder ideologisch zu beeinflussen.  

 

Frage der Identität

Zum Glück war er zu jung gewesen, um von diesen Werten langfristig geprägt zu werden und schnell wurde er in das sozialistische System der DDR integriert. Die folgenden Kapitel sind besonders interessant, weil sie die Frage nach der Identität stellen. Seit wann hat er sich als DDR-Bürger gefühlt? Aus welchen Gründen? Welche Umstände haben seine politische Entwicklung bestimmt?

Schneider sagt, dass er sich „als Deutscher und niemals als DDR Bürger gefühlt“ hat. Angesichts des politischen Standpunktes seines Vaters könnte man diese Aussage überraschend finden. Er ist in einem sozialistischen Land und in einer kommunistischen Familie aufgewachsen. Aber trotz dieser Einflüsse, wird er mit jedem Tag, der vergeht, mehr und mehr unpolitisch. Wie kann das sein?

Man kann eine Antwort auf diese Frage in seinen individuellen Eigenschaften finden. Er wollte seiner moralischen Richtschnur folgen, unabhängig von der politischen Umwelt.

Da seine persönlichen Grundwerte nicht immer denen der SED-Diktatur entsprachen, wurde er als „Provokateur“ gesehen. Auch wenn er sich unpolitisch fühlte und nur versuchte seine Rechtschaffenheit zu behalten, wurde er zwangsexmatrikuliert. Da er sich „als Opfer eines Systems“ fühlte, nahm seine Gegnerschaft zum System und gleichzeitig sein Willen, sich nicht mit den Werten der DDR zu identifizieren, zu.  
 

Zurückhaltung in einer Diktatur

Mut wird wahrscheinlich nicht von einem Regime gut geheißen, wenn man sich gegen die Machthaber richtet. Deswegen behauptet Heinz Schneider, dass politische Zurückhaltung ein Vorteil in Diktaturen ist. Je weniger man bemerkt wird, desto einfacher wird das Leben sein.

Einerseits hat er den Diktaturcharakter der DRR gesehen, anderseits hat er sich ins Private zurückgezogen. Obwohl man spüren kann, dass er sich manchmal dem System widersetzen möchte, entscheidet er sich dafür, eine Laufbahn als leitender Arzt anzustreben und ein „normales“ Leben zu führen.

Die Geschichte Deutschlands spielt in seinem Buch nicht die Hauptrolle. Es zeigt aber viele Zusammenhänge, vor allem sehr viele Details aus der Arbeit einer Diabetesabteilung. Zwar möchte Heinz Schneider zeigen, dass er nach seiner Zwangsexmatrikulation eine ganz normale Karriere durchlaufen hat. Doch gerade dank dieser Perspektive wird die Schilderung der „Normalität des Absurden“ besonders überzeugend.

 

Die Darstellung der DDR

Heinz Schneider schreibt prägnant und sachlich über das Stasi-System.
Durch seine Geschichten und Anekdoten werden menschlichen Beziehungen in der DDR betrachtet. Die Mentalität „alle für einen und einer für alle“ wird von ihm als positiv eingeschätzt. Ein weiteres Beispiel dieser Solidarität ist für ihn die Ausbildung, die er als Arbeiterkind kostenlos bekommt, was seiner Meinung nach im Westen wahrscheinlich nicht möglich gewesen wäre. Die negativen Aspekte der kommunistischen Diktatur sind zwar der Schwerpunkt dieses Buches, die DDR wird dennoch nicht dämonisiert. 

Der Autor kommt zu zwei Hauptergebnissen. Zum Ersten soll man ein genaues Bild der DDR hinterlassen, damit man aus der Vergangenheit lernen kann. Ein zu positives Bild des Regimes würde laut Heinz Schneider zu „Ostalgie“ führen und ein negatives Bild zu Verteufelung der DDR. Zum Zweiten stellt er fest, dass Demokratie immer die bessere Alternative ist, obwohl jedes politische System auch Fehler hat. Man soll deshalb die Demokratie immer bewahren.

 
Als Ausländerin, genauer gesagt als Französin, die in England studiert und zurzeit in Berlin ein Praktikum macht, habe ich aus dem Erinnerungsbuch von Heinz Schneider viel über das Leben in der DDR gelernt. Ich kann es daher empfehlen.

 

Text: Julia van Duijvenvoorde

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